In der japanischen Kultur gibt es das Konzept «Ma». Der Begriff bedeutet so viel wie Zwischenraum, Pause oder Leere. In der Malerei steht «Ma» zum Beispiel für jene Leerstellen auf der Leinwand, die das eigentliche Sujet noch stärker betonen. In der Inneneinrichtung meint man damit den freien Raum zwischen Möbeln oder Wandbehängen, durch den diese Objekte erst ihre volle räumliche Wirkung entfalten. «Ma» steht also für die Abwesenheit von Dingen. Sie ist ein Nichts, ja, aber eines, das voller Potenzial ist.
Mit einem Augenzwinkern eingerichtete Räume
Der komplexen Idee des Nichts widmet jetzt das Museum für Kommunikation eine Ausstellung. «Nichts» wurde von Kurt Stadelmann kuratiert, der 2018 schon die sinnliche Schau «Sound of Silence» über die Stille gestaltete. Von da war der Weg zum aktuellen Ausstellungsthema ein kurzer. Stadelmann sagt, ihn habe zunächst einmal die Herausforderung interessiert, wie man dieses Konzept überhaupt ausstellen könne. «Nichts gibt es eigentlich nicht. Es existiert nur in unserem Kopf, wenn wir etwas nicht sehen oder nicht verstehen.»
Die Gefahr, dass so eine Ausstellung zu verkopft wird, ist gross. Stadelmann und sein Team setzen deshalb bewusst auf eine spielerische Annäherung an das Thema. Und das ist ihnen gelungen. Der erste Raum etwa ist im Stil einer barocken Wunderkammer eingerichtet. Allerlei Kuriositäten rund um das Nichts warten da in kleinen Vitrinen: die unsichtbare Strumpfhose, ein gelochtes Kartonbillett, Aktien von Swissair und Credit Suisse, das Modell einer Südseeinsel, eine Flasche voller Luft aus Zermatt. Die dazugehörigen Schilder verbinden die Objekte auf gewitzte Art mit Redewendungen: «Ein Hauch von Nichts», «Dolce far niente», «Ausser Spesen nichts gewesen».
Ergänzt wird das launige Sammelsurium durch einen Katalogschrank voller Staubproben von prominenten Schweizerinnen und Schweizern.
Blick in eine der Schubladen: ein Fläschchen mit Korkzapfen. Im Innern schmiegen sich Staubflausen wie Miniaturwolken aneinander. Auf der braunen Etikette steht: «Steinberger, Emil.»
Auch den nächsten Raum scheinen die Ausstellungsmacher mit einem Augenzwinkern eingerichtet zu haben. Schwarzer Noppenbelag aus Gummi, nüchterne Sitzreihen, ein etwas unglücklicher Ficus benjamina – auf einmal finden sich die Besucher im schmucklosen Wartebereich eines Flughafens.
Wer sich hier hinsetzt, findet sich erstaunlich schnell in diesem vertrauten, aber tristen Gefühl des untätigen Wartens wieder. Vielleicht vertreiben ja die Retro-Tourismusplakate an den Wänden die Zeit. Aber, Halt! Die zeigen auch nur surreale Szenen mit leeren Perrons und Sesselliften ins Nichts.
Das Loch als Kompagnon des Nicht-Lochs
Jedes Warten endet irgendwann. Die Informationsvideos an den Wänden zeigen es vor: Der Besucher legt sich ein Ortungsgerät mit Bändel um den Hals, loggt sich bei der gewünschten Sprache ein und betritt dann den Hauptteil der Schau. Der Raum ist abgedunkelt, einzelne Lampen beleuchten Stationen, an denen kleine Hörtrichter an schwarzen Kabeln von der Decke baumeln. Nähert man sich diesen, löst das Ortungsgerät die betreffende Tonspur automatisch aus. In kurzen Hörstücken nimmt das Nichts hier die Gestalt von Alltäglichem an. Placebo und Poesie, Asexualität und die Null, Franz Hohlers Nonsens-Berndeutsch im «Totemügerli» und Kurt Tucholskys einnehmende Gedanken zum Wesen des Lochs: «Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut.»
Im hinteren Teil des Raums geht es mit einer Mischung aus Hör- und Sehstationen und Spielerischem weiter. Eine Geflüchtete berichtet davon, vor dem Nichts zu stehen. Zwei Frauen erzählen auf berührende Art, weshalb ihre Beziehung nie zustande kam. Im Videobeitrag wiederum referiert der Chemiker und Philosoph Jens Soentgen über die Charakteristiken des Staubs.
Auch Interaktives findet sich in diesem Teil der Schau. Ein Gerät fotografiert Zeichnungen der Besucher, um sie sogleich wieder zu schreddern. Hinter einem Fenster lädt ein Tatort mit winzigen Spuren zum forensischen Knobeln. Den vorläufigen Abschluss der Ausstellung bildet ein Videoraum. Der Kurzfilm zeigt eine Gruppe von Schauspielerinnen, die es mit ungelenken Begrüssungsritualen, inhaltsleeren Dankesreden und unausgesprochenen Konflikten zu tun haben. Es sind Szenen zum Fremdschämen, in denen sich das Nichts als alltägliche Stolpersteine der zwischenmenschlichen Kommunikation manifestiert.
Alltagsbereichernde Denkanstösse
Mit «Nichts» ist dem Museum für Kommunikation einmal mehr eine anregende Ausstellung gelungen. Die Schau ist spannend aufgebaut, greift etwa Themen aus der Wunderkammer im Hauptteil ausführlicher auf. Dabei sind Verspieltheit und Witz, wissenschaftliche und philosophische Anstösse sowie ernsthafte Gesellschaftsfragen gut ausbalanciert. Wer «Nichts» besucht, sollte auf jeden Fall genügend Zeit mitbringen – nur schon, um am Schluss des Rundgangs das gläserne Séparée des Hauptraums zu geniessen. Dort kann man es sich auf einer Sitzgruppe gemütlich machen und einfach im dichten Sternenhimmel auf dem Deckenbildschirm versinken. Bis die Gedanken irgendwann abschweifen. Aber im Gehirn passiert bekanntlich nie einfach nichts.
Nichts
Bis So, 21.7.
Museum für Kommunikation Bern