Nicole Schmid hebt einen der Lautsprecher vom Boden auf, und aus dem Gewirr von Stimmen ist jene eines Mannes deutlich zu hören. «Elike, elike, keelite» – es sprudelt aus ihm heraus. Der Zuhörer angelt im Strom von Wörtern angestrengt nach dem Sinn. Vergeblich. Schmid legt den Lautsprecher zurück, die Stimme des Mannes versinkt in der Flut sprechender Menschen.
Demenz als ambivalente Angelegenheit
Das Atelier von Nicole Schmid liegt in einem Gewerbehaus im Zürcher Binz-Quartier. Sie teilt den Raum mit einer Kollegin. In ihrer Hälfte hat die 45-Jährige acht kleine Lautsprecher in zwei Reihen ausgelegt, die Kabel hat sie auf den farbgesprenkelten Boden geklebt. Es ist eine Probeanordnung ihrer Arbeit «Du bist, da bist du auch, nicht der Vier bist». Die Klanginstallation besteht aus Gesprächsfragmenten von acht Menschen mit Demenz. Aktuell ist eine Version davon in einer Gruppenschau im Kunstraum Baden ausgestellt, in Kürze wird sie auch im Museum Strauhof in Zürich zu hören sein.
«Demenz ist eine ambivalente Angelegenheit», sagt Schmid, die sich mittlerweile auf einen Kartonkubus an ihrem Sperrholztisch gesetzt hat. Sie habe die Demenzerkrankung ihrer Grossmutter miterlebt, erzählt sie. Das sei sehr emotional gewesen. Gleichzeitig sei es wichtig, dass man Betroffene ernst nehme. «Der Sprachproduktion von Menschen mit Demenz schenkt man oft wenig Aufmerksamkeit, dabei steckt da ein Potenzial drin.» Wer sich also in ihre Klanginstallation begibt, macht zwei Erfahrungen: Einerseits nähert man sich über die verwirrende Sprachflut dem Zustand der Demenz an. Andererseits stösst man auf zufällig-poetische Sätze, die durch die Beeinträchtigung der Sprecher entstehen. Kommunikation, Erinnern, Zufall – die Themen beschäftigen sie seit langem. Die Appenzellerin studierte zunächst visuelle Kommunikation und später bildende Kunst. Für ihre Klanginstallation sprach sie mit Bewohnern im Heim Sonnweid in Wetzikon ZH. Kein einfaches Projekt. Das Tonmaterial musste sie transkribieren, anonymisieren und von Sprechern aufnehmen lassen. «Ich stellte mir die Frage, wie wir die Texte einsprechen können, ohne dass es despektierlich wird», sagt sie.
Unser Umgang mit Behinderung beschäftigt die Künstlerin. «Ich wünsche mir, dass mehr über solche Themen gesprochen wird.» Sie zeigt auf ein Blatt Papier an der Atelierwand, auf das jemand einige krakelige Zeilen geschrieben hat. Ein weiteres Projekt: Sie diktierte einem Mann mit Aphasie einen Text. Die Zeilen machen die Beeinträchtigungen in seiner Sprachverarbeitung sichtbar. Aber eben auch: das poetische Potenzial.
«Du bist, da bist du auch, nicht der Vier bist» – Gesprächsfragmente von Personen mit Demenz
So, 23.2.–So, 1.3. Museum Strauhof Zürich
«Touch me I’m sick» – Kunst begegnet Krankheit
Bis So, 29.3. Kunstraum Baden AG
Nicole Schmids Kulturtipps
Performance
I want to say something
«Eine Performance von Martina-Sofie Wildberger mit Denise Hasler und Tobias Binz. Sprache, Laute, Stimme im Raum und Kommunikation interessieren auch mich in meiner Arbeit.»
Di, 18.2., 19.30 Kunstraum Baden AG
Ausstellungskatalog
Resonating Spaces
(Hg. Fondation Beyeler)
«Die Werke von Leonor Antunes, Silvia Bächli, Toba Khedoori, Susan Philipsz, Rachel Whiteread evozieren Räume zwischen Erkennbarem und Flüchtigem. Ich war fasziniert.»
Musikalische Performance
Simon Grab – No Input
«Im Fokus sind Nebengeräusche, die sonst eliminiert werden. Durch das Fehlen von Daten entstehen neue Bedeutungen.»
Fr, 6.3., 20.00 Kunstraum Walcheturm Zürich