Ich habe fast meinen Morgenkaffee ausgeschüttet, als ich vor kurzem die NZZ zur Hand nahm und das Bild auf Seite eins sah: Zum 60. Geburtstag des Schweizer Fernsehens ein Bild von Kurt Felix mit dem legendären «Teleboy»! Das ist eine Revolution. Wenn sogar die NZZ begriffen hat, dass die Menschen zuerst an Unterhaltung denken, wenn sie Fernsehen sagen, dann haben vielleicht auch in Leutschenbach endlich alle gecheckt, dass Fernsehen nicht eine Volksbelehrungsanstalt oder eine Sonntagsschule, sondern das Unterhaltungsmedium, das Volksbelustigungsmedium par excellence ist.
Ich erinnere mich gerne an die Zeiten, als es im Fernsehen zwei Lager gab: das der ernsten Lehrer, die Information, Kultur und Sport verwalteten, und das der lustigen Lehrer, die sich in Unterhaltungsformaten versuchten. Lehrer waren fast alle gewesen, in einem ersten Leben. Die Ersteren schauten mit Degoût auf die Letzteren runter. Letztere hatten als Trost nur die sensationellen Einschaltquoten, die enormen Marktanteile. Das Publikum war auf ihrer Seite.
Als junger Chefredaktor von unterhaltenden Blättern («Blick für die Frau», «Sonntagsblick», «Schweizer Illustrierte») wurde ich einerseits in Unterhaltungssendungen eingeladen und freundlich behandelt, andererseits in sogenannte medienkritische Sendungen eingeladen und fast feindselig behandelt: Ausgerechnet im Fernsehen und Radio musste ich mich für die Existenzberechtigung des unterhaltenden Journalismus wehren. Verkehrte Welt!
Ich schaue heute mit Vergnügen zu, wie sich die ganze SRG mitsamt Generaldirektor Roger de Weck gegenüber SRG-Kritikern von links und rechts heftig für jenen Bereich wehren muss, der von den Kritikern am schärfsten angeschossen wird, für die Unterhaltung. Es sei nicht Aufgabe des Service public, teure Unterhaltungsformate einzukaufen oder zu produzieren, monieren die Kritiker. «Manche SRG-Kritiker meinen, der Service public sei für das Langweilige zuständig, während die privaten Sender für das Lustvolle zuständig seien», resümiert Roger de Weck die Angriffe.
Ich darf anmerken, dass der gute Roger heute eine Saat aufgehen sieht, die seine Anstalt während Jahrzehnten selbst gesät hat. Die Verachtung, die Diskriminierung der Unterhaltung als etwas Minderwertiges haben Radio- und Fernsehmitarbeiter während Jahrzehnten heftig betrieben.
Wenn nun SRG-Kritiker mit haarspalterischen Argumenten beantragen, aus diesem Service public die Unterhaltung quasi rauszufiltern, haben sie von Fernsehen und Radio nix begriffen. TV und Radio sind per se in ihrem Wesen vor allem Unterhaltung: Boulevardmedien, die nebenbei noch Information aus Politik, Kultur und Sport bieten, und zwar sehr gut. Aber auch dies immer auf unterhaltende Art – nehmen wir nur das Fernsehen.
Fernsehen hat alle Eigenschaften guter Unterhaltung: Es lässt sich passiv, ohne jegliche intellektuelle Anstrengung geniessen. Es ist Spektakel von A bis Z, selbst Informationssendungen erzählen Storys mit bewegten Bildern, häppchenweise, in einem schnellen, unterhaltenden Rhythmus, mit Musik und farbigem Dekor, dargeboten von adrett aussehenden und angezogenen Menschen, die bewusst so ausgewählt wurden, dass sie «perfekt rüberkommen» am Bildschirm. Selbst Information setzt auf emotionale Werte – wie alle reinen Unterhaltungsmedien. Radio hat ähnliche Eigenschaften, das Programm ist so süffig gestaltet, dass ein Weghören fast nicht mehr möglich ist, jedes Worthäppchen wird von Musik begleitet oder unterbrochen.
Nun zur Unterhaltung pur. Gerade sie wird wichtiger, um die vornehmste Aufgabe des Service public zu erfüllen, den nationalen Zusammenhalt zu fördern und ein medialer Spiegel der Schweizer Gesellschaft zu sein. Nichts ist nachhaltiger für das Wir-Gefühl, für die Spiegelung unserer Realität, als die grossen Unterhaltungskisten, Live-Events wie Swiss Award, Miss-Schweiz-Wahlen (nicht mehr bei SRF, leider), «Voice of Switzerland», aber auch die satirischen Sendungen wie «Giacobbo/Müller» oder die hier produzierten Serien wie «Der Bestatter», «Fascht e Familie» und andere Unterhaltungssendungen. Nichts grenzt unsern Service public besser ab von den ausländischen Formaten der grossen deutschen, französischen und italienischen Sender.
Wir werden medial in keinem andern Bereich derart überschwemmt, geradezu kolonisiert wie in der Unterhaltung: Die Musik findet auf Englisch statt, Kino kommt aus Amerika, die besten Serien aus den USA, Dänemark, Grossbritannien.
Um in dieser Unterhaltungswelt bestehen zu können, die auf die Entwicklung der Moden, des Verhaltens, der Sprache riesigen Einfluss hat, braucht der Service public eine starke Unterhaltungsabteilung, um ein schweizerisches Angebot zu produzieren, das ebenso attraktiv und intelligent gemacht ist wie die besten ausländischen Produkte.
Nun könnte ich noch beifügen, dass das Schweizer Fernsehen seine Hausaufgaben nicht optimal erledigt, wenn es nur auf Einschaltquoten schielt und nicht im Interesse des schweizerischen Zusammenhalts auch mal eine gesamtschweizerische Sendung produziert. Swiss Awards ist eine Ausnahme, aber dort wird im Dialekt parliert. Die «Miss Schweiz» wurde aus dem Programm geschmissen, und am 1. August findet keine echt viersprachige Live-Sendung statt.
Und die Kultur ist ein kritisches Thema: Wann wird die Kultur in die Unterhaltung integriert, wie dies die Franzosen seit Jahrzehnten mit Erfolg machen? Bei uns ist sie ein Randzeiten-Ghetto für Minderheiten. Die grosse TV-Kunst bestände darin, gute Musiker, Schriftsteller, Tänzer, Kunstmaler so geschickt in reine Unterhaltungssendungen einzubauen, dass sie schlagartig berühmter werden.
Eins ist sicher, liebe SRG-Kritiker: Lasst die Finger von der Unterhaltung. Wer einen Service public ohne Unterhaltung will, will keinen Service public at all.
Peter Rothenbühler
Peter Rothenbühler wurde 1948 in Pruntrut JU geboren und ist in Biel aufgewachsen. Der Journalist war Chefredaktor von «Blick für die Frau», «SonntagsBlick», «Schweizer Illustrierte» und «Le Matin». Er ist heute Kolumnist bei «Le Matin Dimanche», «Schweizer Illustrierte» und «Aargauer Zeitung».