Die Musik? Ausgesprochen feierlich! Der Blumenschmuck? Festlich! Die Spässchen des Dirigenten? Urkomisch, zweifelsohne! Aber über die Balletteinlagen bei der Übertragung des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker scheiden sich die Geister, selbst unter den eingefleischten und langjährigen Fernsehzuschauerinnen und -zuschauern: Die einen finden sie einfach nur fad, für die anderen hingegen unterstreichen sie die festliche Erhabenheit des Neujahrskonzerts. Doch obs einem passt oder nicht: Die Balletteinlagen gehören längst zum walzerseligen Neujahrsereignis der Wiener Philharmoniker wie die Pummerin – also die grösste Glocke, die jeweils das Neujahrskonzert einläutet – zum Stephansdom.
TV-Publikum im Vorteil
Schon seit Beginn der Fernsehübertragung vor 54 Jahren sind sie fixer Bestandteil des Konzerts. Das TV-Publikum hat in dieser Hinsicht gegenüber den Besuchern des Live-Konzerts sogar einen Mehrwert, denn in den Goldenen Saal des Musikvereins werden sie bis anhin noch nicht übertragen. In den ersten Jahren der TV-Ausstrahlung des Neujahrskonzerts wurden die Balletteinlagen im Brahmssaal des Musikvereins live getanzt und mitgeschnitten. Für die Fernsehübertragung projizierte man dann die Mitschnitte auf den Orgelbalkon im Musikverein. Später ging man zu Aufnahmen im Studio über.
2012 im Belvedere
Seit geraumer Zeit dienen nun jedoch Orte und Gebäude als Austragungsort, die mit Wien und Österreich in einem star-
ken identifikatorischen Verhältnis stehen. Dieses Mal fiel die Wahl – dem Klimt-Jahr 2012 sei es gedankt – auf das obere Belvedere. Im dereinst für Prinz Eugen von Savoyen erbauten Barockschloss wurde 1955 der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. Heute beherbergt es die österreichische Galerie, die unter anderem über die weltweit grösste Klimt-Sammlung verfügt.
Die Balletteinlagen werden dort live zur Konzertmusik getanzt. Die Musik wird dabei über versteckte Lautsprecher direkt in den Tanzsaal übertragen: «Die Tänzer können dadurch genau zur Musik agieren, auch wenn sie sich nicht am Konzertort selbst befinden», erläutert Michael Beyer. Er zeichnet dieses Jahr zum zweiten Mal für die Ballett-Bildregie im ORF verantwortlich und hat damit die zentrale Schnittstelle zwischen Ballettperformance und Fernsehübertragung inne. «Mein Hauptinteresse gilt dem Atmosphärischen der Choreografien, und das versuche ich einzufangen. Denn die Kamerabilder folgen dem Tanz, und nicht umgekehrt», sagt Beyer über seine Tätigkeit. Dass er zu diesem Zweck eng mit dem Choreografen zusammenarbeitet, liegt auf der Hand: «Diese Zusammenarbeit ist schon in der Planungsphase äusserst wichtig, damit die ausgewählten Kamerapositionen und das Licht zur Choreografie passen. Wir sind deswegen ständig im Gespräch, und ich bin natürlich auch bei Proben im Ballettsaal mit dabei.»
Ein Italiener in Wien
Die Choreografie besorgt beim kommenden Neujahrskonzert erstmals der Italiener Davide Bombana. Er verfolge den Event schon seit Jahrzehnten mit grosser Begeisterung im Fernsehen. Umso mehr freue er sich auf die Aufgabe, gemeinsam mit den Tänzern der Wiener Staatsoper die Balletteinlagen erarbeiten zu dürfen, gibt der gebürtige Florentiner preis. Auch zur Musik der Strauss-Dynastie hat er eine durchaus entspannte und positive Beziehung: «Diese Musik wirkt auf mich wie ein Glas Champagner – erfrischend und leicht betäubend, also genau das Richtige für den ersten Januar!»
Tradition und Moderne
Nun ist das Neujahrskonzert aber ein ungemein traditionsbehaftetes Ereignis – es wurde erstmals im Kriegswinter 1939 zum grossen Wohlgefallen der nationalsozialistischen Führungsriege veranstaltet und ist damit bereits mehr als 70 Jahre alt. Den Choreografen stellt dieser Umstand vor die gar nicht leicht zu lösende Aufgabe, einen goldenen Mittelweg zu finden, um Neues mit Traditionellem zu verbinden. «Avantgardistisches darf man natürlich eher nicht erwarten. Aber die Möglichkeit, Elemente des eigenen Schritte-Vokabulars einzubringen, besteht auf alle Fälle», sagt Bombana. Dieses Jahr gilt es, zwei Walzer von Johann Strauss (Sohn), «Freut Euch des Lebens» und «An der schönen, blauen Donau», sowie «Brennende Liebe», eine Polka Mazur von Josef Strauss, zu choreografieren.
Verheissungsvoll
Davide Bombana stehen insgesamt neun Paare aus den Reihen des Balletts der Wiener Staatsoper zur Verfügung, darunter Bekanntheiten wie Olga Esina, Roman Lazik, Maria Yakovleva oder Kiril Kourlaev. Und ein wenig lässt sich Bombana bereits in die Karten blicken, was uns am kommenden 1. Januar zwischen 11.00 und 13.30 Uhr erwarten wird: Er habe sich ohne Wenn und Aber von der Musik inspirieren lassen und bringe demzufolge «eine wahre Hymne auf die Lebensfreude» auf die Bühne. Für ihn sei das eine umso grössere Herausforderung, als er gewöhnlich zu dramatischen Themen wie Penthesilea, Woyzeck oder Faust neige. In der Tat: Ein verheissungsvolles Crossover!