kulturtipp: Die letzte Ausgabe des biennalen Festivals fiel in die Coronazeit. Wie gross ist nun die Erleichterung über wiedergewonnene Freiheiten?
Pius Knüsel: Die Erleichterung ist beträchtlich, denn wir können das Festival wieder buchstäblich verdichten.
2021 zogen Barbara Betschart und Graziella Contratto als neue Künstlerische Leiterinnen eine positive Bilanz. Dennoch haben sie ihre Co-Leitung nach nur einer Ausgabe wieder abgegeben. Wegen Corona?
Die Corona-Einschränkungen haben uns manches erschwert. Doch damit konnten wir umgehen. Gescheitert ist die Zusammenarbeit letztlich an unterschiedlichen Arbeitsweisen.
War dies mit der Berufung einer Co-Leitung nicht vorprogrammiert?
Unter sich haben die beiden Intendantinnen bestens zusammengearbeitet.
Contratto und Betschart sprachen auch strukturelle Probleme an. Wie haben Sie als Geschäftsführer darauf reagiert?
Eine Hauptkritik war, dass sich die beiden eine professionellere Equipe wünschten. Dies geht aber nur teilweise, denn Alpentöne basiert auf der Mitwirkung zahlreicher Freiwilliger, die für eine Pauschale sehr viel arbeiten. Das sind lokale Spezialisten, auf die wir nicht verzichten wollen. Meine unmittelbarste Reaktion war, die Programmgruppe zu vergrössern – mit vier Expertinnen und Experten, die dem Facettenreichtum des Festivals gerecht werden.
Co-Leitungen sind eine Zeiterscheinung. Gibt es keine Persönlichkeiten mehr, die alleine gestalten und Verantwortung übernehmen wollen?
Es ist eine Zeiterscheinung, ja. An sich bin ich kein Fan solcher verteilter Verantwortlichkeit. Im künstlerischen Bereich kann es aber interessant sein, weil der Horizont weiter wird. Für die neue Leitung hatte ich als Ersten Boris Previsic angefragt, Direktor des Instituts Kulturen der Alpen. Er sagte zu, erwähnte aber seinen «engen Horizont».
Also kam Carine Zuber ins Spiel, die international bestens vernetzt ist. Sie brachte Tobias Bolfing mit für den Bereich Schweizer Volksmusik. Um das Uri-Netzwerk einzubringen, nahmen wir Karl Marbet dazu, der seit 2019 bei Alpentöne mitarbeitet. Dieses Quartett hat sich auch meine Mitarbeit in der Programmgruppe gewünscht, so arbeiten wir jetzt zu fünft gut zusammen.
Nach der letzten Ausgabe sagten Sie in den Medien, Sie wünschten sich wieder vermehrt «schräge Töne». Erfüllt die neue Programmgruppe Ihre Erwartungen?
Auf jeden Fall, weil sie nach unerhörten Tönen sucht.
Beispiele?
Das Tessiner Trio Niton mit seiner situationsbezogenen Improvisation. Michel Roths Klanginstallation «Seilsender». Oder Trompeter Thomas Gansch, der als «Störtrompeter» überall auftauchen und sich einmischen wird.
Der Österreicher Gansch ist einer der wenigen Gäste aus dem Ausland. Haben Sie den Fokus bewusst auf Schweizer Produktionen gelegt?
Nein, das hat sich einfach so ergeben – natürlich auch, weil in der Schweiz derart viele spannende Projekte zu beobachten sind und Alpentöne eine Plattform ist, die Entstehendes zeigen will.
2021 war Österreich Gastland. Heuer gibts keines?
Nein, wir wollten international breiter abgestützt sein. Es gibt andere Schwerpunkte wie das alpine Filmprogramm, die Spoken-Word-Schiene und viele Zürcher Bands. Zürich ist unser heimlicher Gastkanton.
Sie haben den Schwerpunkt Jazz vergessen. Carine Zuber kommt – wie Sie selbst – vom Jazz.
Ein Blick ins Programm zeigt zahlreiche Jazzmusiker. Das ist gewollt. Carine Zuber habe ich mit dem Wissen um ihre Kontakte zur internationalen Jazzwelt angefragt.
Dennoch frage ich mich, wie der Genfer Jazztrompeter Erik Truffaz in die alpine Welt passt.
Er spielt seit langem auch Alphorn. So haben wir ihm den Auftrag gegeben für ein Projekt mit alpinen Klängen.
Wie sieht eigentlich Ihr Alltag als Geschäftsführer des Festivals Alpentöne aus?
Das Festival ist – ähnlich wie das Zürcher Theater Spektakel – in die Gemeindeverwaltung integriert. Ich habe ein Mandat vom Gemeinderat und bin verantwortlich für alles. Ich diskutiere mit den Behörden, formuliere Anträge, stelle das gesamte Festivalteam zusammen, erstelle das Budget und besorge das Fundraising.
Und wie finanziert sich das Alpentöne-Festival?
Vom Budget von rund 650 000 Franken erwirtschaften wir 120 000 Franken durch Eintritte und Gastronomie. Für den Rest stammen 50 Prozent von Stiftungen, 40 Prozent von öffentlichen Institutionen wie der Gemeinde Altdorf, dem Kanton Uri oder Pro Helvetia, 10 Prozent kommen aus der Wirtschaft.
Ihr persönlicher Tipp für 2023?
Das Zusammentreffen der Jodlerin Simone Felber mit der Elektronikerin Simone Aubert kann ich wämstens empfehlen.
Das wird schräg?
So richtig schräg! Und schön!
Wie geht es mit Alpentönen weiter?
Wir haben viele Träume. Etwa eine Ausdehnung auf aussergewöhnliche Schauplätze im Kanton Uri. Oder eine Zusammenarbeit mit dem Tessin ennet des Gotthards.
Alpentöne
Do, 17.8.–So, 20.8. Theater Uri, Lehnplatz, Cinema Leuzinger etc. Altdorf
www.alpentoene.ch
Radio
Musikmagazin: Sommertalk – Live aus Altdorf
Sa, 19.8., 10.00 SRF 2 Kultur
Live aus Altdorf: Manu Delago, Erik Truffaz, Alpine Masters
Sa, 19.8., 19.30 SRF 2 Kultur
SRG-best-talent-Projekt
Fr, 22.9., 20.00 SRF 2 Kultur
Die Alpen in allen Facetten
1999 gegründet, will das Festival Alpentöne in Altdorf Tradition und Innovation verbinden und das Musikschaffen des Alpenraums von Slowenien bis Okzitanien zum Klingen bringen. Alle zwei Jahre lädt es in die kleinste Hauptstadt der Schweiz. Namhafte Intendanten wie der Jazzer mathias rüegg, der Volksmusikspezialist Johannes Rühl oder die Kulturmanagerinnen Graziella Contratto und Barbara Betschart verfeinerten das Konzept.
Das diesjährige Programm bewegt sich zwischen Eckpunkten wie einem Sprechchor mit Albrecht von Hallers Langgedicht «Die Alpen» und dem Genfer Jazztrompeter Erik Truffaz. Der österreichische Trompeter Thomas Gansch ist Artist in Residence, junge Vertreter der Neuen Volksmusik spielen in der Hochschulband Alpinis sowie einem SRG-Talentprojekt.