So spielt das Leben: «Er soff ganz unmässig und mit einem Heiss-durste, der gar nicht zu löschen war.» Die Rede ist vom Pferd, «dem Litauer», des Freiherrn von Münchhausen, das sich an einem Dorfbrunnen gütlich tat. Da das arme Vieh nicht mit Trinken aufhören wollte, blickte sein Meister genauer hin: «Das ganze Hinterteil des armen Tiers, Kreuz und Lenden waren fort und wie rein abgeschnitten. So lief denn hinten das Wasser ebenso heraus, als es vorne hereingekommen war, ohne dass es den Gaul erfrischte.»
Die Fantastereien eines kreativen Übersetzers
Die famose Geschichte ist einem soeben neu erschienenen Band mit schier epischem Titel entnommen: «Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben im Zirkel seiner Freunde bei einer Flasche zu erzählen pflegte». Niedergeschrieben hatte sie nicht etwa der Landadlige Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen (1720–1797) selbst. Viel-mehr gab sie der zeitgenössische Übersetzer Gottfried August Bürger (1747–1794) heraus und reicherte sie mit seinen eigenen Fantastereien an. Er hatte den Unterhaltungswert und das kommerzielle Potenzial dieser Erzählungen erkannt.
Zum 300. Geburtstag des Freiherrn sind sie jetzt neu erschienen, versehen mit 30 köstlichen Illustrationen des Zeichners Thomas M. Müller. Zu diesem Jahrestag ist auch der Band «Die ganze Wahrheit über Münchhausen & Co.» der deutschen Autorin Tina Breckwoldt erhältlich, die das Leben dieses ungewöhnlichen Mannes so detailliert wie möglich schildert: «Über den historischen Baron weiss man nicht eben viel (…) Schriftliche Urkunden gibt es nur wenige. Zeitgenössische Berichte sind rar.» Dennoch genügen die greifbaren Zeugnisse, um das Bild einer facettenreichen Persönlichkeit zu zeichnen, die man nur zu gerne gekannt hätte.
Geldnot macht einen Kleinadligen erfinderisch
Der Kleinadlige hat seine Geschichten anscheinend jeweils im gesellschaftlichen Kreis auf seinem Landsitz im niedersächsischen Bodenwerder zum Besten gegeben. Unter den Zuhörern war der hochgebildete Rudolph Erich Raspe, der bedauerlicherweise unter steten Geldnöten litt. So sah er sich gezwungen, sich an den Münzen des Landgrafen zu vergreifen, in dessen Diensten er stand. Als die Sache aufflog, hielt es Raspe für schlau, für eine Weile nach England zu verduften. Auch dort reichte ihm der Zaster nicht, und er erinnerte sich der fabelhaften Geschichten Münchhausens, die er niederschrieb und mit Erfolg publizieren konnte. In der deutschen Übersetzung Gottfried A. Bürgers fanden sie schliesslich ihren Platz in der Literaturgeschichte und damit nach und nach im kollektiven Bewusstsein einer breiten deutschsprachigen Leserschaft.
Am berühmtesten ist bis heute die Geschichte von der Kanonenkugel, auf die sich der Baron schwingt, um die militärische Lage hinter den feindlichen Linien zu erkunden. Damit er nicht in Gefangenschaft gerät, wechselt er im Flug auf die entgegenkommende Kugel einer gegnerischen Kanone, die ihn sicher zurück zu den Seinen bringt.
Freiherr von Münchhausen war von Beruf Soldat, genauer: «Russisch Kaiserlicher und Grossfürstlicher Husaren Rittmeister, auch Erbherr von Rinteln, Schwöbber und Bodenwerder …», wie im Kirchbuch nach seinem Tod eingetragen wurde. So erlebte er auf seinen Feldzügen im Dienst des Zaren gegen die Türken wohl tatsächlich Abenteuer, die leicht hätten ins Auge gehen können.
Dieser Offizier berichtete indes nicht wie unzählige andere von seinen militärischen Heldentaten. Er überdrehte die Geschehnisse vielmehr ins Ab-surde. Physikalische Gesetze erweisen sich bei ihm als paradox, der Krieg kippt ins Lächerliche. Soldat Münchhausen war im Zeitalter der Aufklärung ein naturwissenschaftlicher Schwadroneur und ein militärischer Scharlatan.
Mit der Scheidung wird er zum «Lügenbaron»
Natürlich meinte er es mit seinen Geschichten nicht ernst. Doch die Bezeichnung «Lügenbaron» hasste er, denn sie war nicht auf seine Fabulierkunst gemünzt. Sie tauchte erst gegen sein Lebensende auf, als er in einem Scheidungsprozess stand. Denn das Alter schützte auch Münchhausen vor Torheiten nicht, und er ehelichte nach dem Tod seiner ersten Frau die junge Bernhardine von Brunn, die den 70-Jährigen nicht aus Liebe erhört hatte. Sie gab nach der Trauung vielmehr sein Geld mit vollen Händen aus, bis es zu einem aufwendigen Scheidungsprozess kam, in dem Bernhardines Anwälte Münchhausen als «Lügenbaron» verunglimpften, als er die Missetaten seiner Noch-Angetrauten beklagte. Der bedauernswerte Freiherr verstarb, ohne dass die Angelegenheit ins Reine gebracht werden konnte.
Bücher
Gottfried August
Bürger/Thomas M. Müller (Illustrationen)
Wunderbare Reise zu Wasser und zu Lande…
176 Seiten
(Faber & Faber 2020)
Tina Breckwoldt
Die ganze Wahrheit über Münchhausen & Co.
283 Seiten
(Benvento 2020)
Drei Geschichten des Freiherrn
Reiseerlebnis
«Ich ritt, es wurde Nacht, und noch war kein Dorf zu sehen. Ich stieg also ab, fand einen kleinen spitzen Pfahl, woran ich mein Pferd anband, nahm meine Pistolen zu mir und schlief ein. Am nächsten Morgen fand ich mich zu meinem grossen Erstaunen mitten in einem Dorf, mein Pferd war aber nicht zu sehen. Endlich hörte ich es wiehern. Ich blickte hinauf und sah es oben am Kirchturm hängen. Gestern war noch alles zugeschneit und über Nacht aufgetaut. Was ich für einen Pfahl hielt, war die Kirchturmspitze, an die ich das Pferd angebunden hatte.»
Gesellschaftliches
«Sie kennen die grosse Sängerin Gabrielle. Ich hörte sie in Petersburg und war äusserst entzückt von ihr. Kurz vor ihrer Abreise lief ich zu ihr, bat und flehte und warf mich vor ihr auf die Knie, und bot ihr 100 Luisdor, bis sie endlich in das einwilligte, was ich von ihr wünschte. Sie gab mir den schönsten Triller, der mich vorzüglich entzückte. Ich legte ihn in Spiritus ein und bewahre ihn auf diese Art noch.»
Jägerlatein
«Einmal auf der Jagd hatte ich mein Schrot schon ganz verschossen; und da fand ich einen stattlichen Hirsch. Ich lud dennoch geschwind mein Pulver und setzte eine Menge Kirschkerne droben auf, nachdem ich schnell das Fleisch abgesaugt hatte. Ich schoss ihm gerade auf die Stirn; er entkam aber. Ein Jahr später ging ich in den gleichen Wald, und da kam mir ein Hirsch entgegen, aus dessen Stirn ein Kirschbaum mit schöner Blüte spross.»
(Aus verschiedenen Quellen)