Nach 30 Sekunden kennt sie das Problem. Ganz selten muss jemand länger vorlesen, bis Nathalie Claude die Sprache analysiert hat. Das liegt am geübten Gehör – und an der Erfahrung: Seit 20 Jahren beschäftigt sich die in Bern geborene Wahlberlinerin mit Sprachakzenten. Und damit, diese loszuwerden.
Auslöser war die eigene Sprachfärbung. Über diese stolperte die Sängerin, als sie 1996 nach San Francisco zog. «Mein Englisch war zwar sehr gut, aber nicht akzentfrei. Ich wurde von allen nur als die herzige, kleine Schweizerin angesehen», blickt die 49-Jährige zurück. Dennoch wurde sie von Judy Davis, die auch Barbra Streisand und Frank Sinatra unterrichtete, ins Gesangsstudium aufgenommen. Dort lernte Claude singend, ihren Akzent abzulegen.
Eine eigene Methode entwickelt
Drei Jahre später zog die musik- und sprachbegeisterte Künstlerin nach Berlin – und erneut war ihr Akzent Thema. Wegen ihres schweizerisch gefärbten Deutsch flog sie aus der letzten Bewerbungsrunde beim Jazz-Radio. Claudes Ehrgeiz war geweckt. Fast täglich stand sie damals als Sängerin auf der Bühne. Doch mit dem multikulturellen Berliner Publikum kommunizierte sie wie zuvor in den USA auf Englisch. Ihre akzentfreie Aussprache kam an. Bald wurde sie gebeten, ihre Technik zu unterrichten.
«Ich konnte zwar Englisch vermitteln, hatte aber keine Ahnung, wie Deutsch funktioniert», sagt Claude im Skype-Gespräch. Nach einem Jahr Sprecherausbildung wurde sie wegen ihres Akzents nicht zur Prüfung zugelassen und hängte kurzerhand eine Stimm- und Sprechertrainer-Ausbildung an. Ihre Diplomarbeit verfasste sie zum Thema Akzentbereinigung. Auf Basis ihrer Gesangsausbildung entwickelte sie ihre eigene Methode: Statt Fremdsprache nur übers Hören zu lernen, ergänzt die Sprachtrainerin diesen Hör-Wert um einen Blick- so-wie einen Fühl-Wert. Ihre Schüler lernen, (Mund-)Bewegungen optisch zu analysieren, woraus ein neues Körpergefühl und der korrekte Hör-Wert entsteht.
Bis heute hat die quirlige Macherin ihre Methode verfeinert, Bücher zum Thema geschrieben und im Sommer die Online-Akademie «purolingo» aufgebaut. «Sprache und Dialekt sind für mich wie ein Code, den man knacken kann», sagt sie. Claudes Klientel reicht vom CEO über den Kreuzfahrt-Kapitän bis zum Sänger. Für die SRF-Serie «Wilder», die demnächst mit Staffel 3 startet, verhalf sie der Basler Hauptdarstellerin Sarah Spale zum waschechten Berner Dialekt. Wort für Wort gingen sie jede Dialogzeile durch. Ein schöner Prozess, auch weil das Berndeutsch sie in ihre Kindheit zurückwarf. Bald möchte die Musikerin wieder auftreten: solo, mit Mikrofon, Loopstation und Synthesizer. Hauptsache, es kehrt keine Langeweile ein.
Wilder – Staffel 3
Ab 5.1., jew. Di, 20.05 SRF 1
Oder über www.playsuisse.ch
Nathalie Claudes Kulturtipps
Podcast
Geschichten mit F. und all den anderen
«Autorin Isobel Markus veröffentlichte im Lockdown Mini-Texte mit schönen Beobachtungen aus Berlin. Im Podcast liest sie diese lustigen, schlauen Texte – ich lasse mir keinen entgehen.»
Kunst/Mode
Strickmode von Antje Pugnat
«Die Mode von Antje Pugnat ist für mich wie Kunst: Jedes Teil ist ein Werk und nicht nur etwas zum Anziehen. Das mag auch am Einfluss ihres Partners liegen, der Maler ist.»
Buch
Katharina Fuchs: Zwei Handvoll Leben (Droemer 2020)
«Im Roman erzählen zwei Frauen die Geschichte des Berliner Kaufhauses KaDeWe. Ein Ort, der aktuell brach liegt und den ich vermisse.»