Möpschen?»
«Hmm.»
«Schläfst du schon?»
«Hmpf.»
«Friedhelm!»
«Was denn, Trudi?»
«Du schläfst ja gar nicht!»
«Trudi. Ich bin müde.»
«Hör mal zu, Möpschen, ich hab mir da was überlegt. Deine Stiefmutter … Du weisst schon, Pauline.»
«Ich weiss, wie meine Stiefmutter heisst.»
«Die gute Pauline ist doch schon weit
über 90, nicht wahr?»
«Hmm.»
«Ich meine, sie könnte jederzeit auf dem nassen Laub ausrutschen und sich zum Beispiel den Kopf anstossen. Kinderlos,
wie sie ist.»
«Das versteh ich jetzt nicht ganz.»
«Oder spurlos verschwinden. Das passiert bei alten Leuten immer wieder. Wir
sollten … Möpschen?»
«Hmm.»
«Friedhelm!»
«Chschlf.»
«Wie bitte?»
«Ich schlafe!»
«Friedhelm! Das hier ist wichtig! Ich habe eine Idee.»
«Hat das nicht Zeit bis morgen? Es ist
mitten in der Nacht.»
«Ich habe sogar eine sehr gute Idee!
Paulines Hüftgelenk braucht ein neues Scharnier. Es rostet. Ihr Gebiss sitzt schief und muss saniert werden. Und ihre Blase leckt.»
«Ihre Blase – was?»
«Sie leckt. Du verstehst schon. Sie ist undicht.»
«Pauline?»
«Ihre Blase! Paulines Blasenmuskel verfügt nicht mehr über die notwendige Straffheit und Durchblutung, um … Möpschen, hörst du mir noch zu?»
«Paulines Hüftgelenk rostet? Das gibts ja gar nicht!»
«Nun ja, ich –»
«Das hast du dir ausgedacht!»
«Jetzt bist du wach, mein Lieber. Ich wollte dir nur den Ernst der Sache klarmachen. Paulines Verfalldatum ist abgelaufen. Ihr Riesenvermögen modert ungenutzt vor sich hin, ihr Gärtner pflegt den Schlosspark umsonst, da Pauline keinen Fuss mehr vor die Tür setzt. Sie hört weder das Gezwitscher der Vögel, halb taub, wie sie ist, noch geniesst sie den Seeblick, halb blind,
wie sie … Friedhelm? … Friedhelm! Du schnarchst!»
«Bitte, Trudi.»
«Man sollte barmherzig sein und ihrem Leiden ein Ende bereiten.»
«Was sagst du da, du verrücktes Weib?»
«Schrei mich nicht an, Friedhelm! Denk an deinen Cholesterinspiegel. Wenn Pauline dereinst – Gott hab sie selig – ihren letzten Weg antritt und wir uns als ihre einzigen Angehörigen bereit erklären, die Bürde der Verwaltung ihrer Habseligkeiten auf uns zu nehmen –»
«Ach? Jetzt sind es plötzlich Habseligkeiten? Vorher war es noch ein Riesenvermögen.»
«Dreh mir nicht das Wort im Mund
herum. Was ich sagen will, ist: Man muss sich um die Sache kümmern.»
«Die Sache?»
«Pauline.»
«Man?»
«Wir.»
…
…
«Und wie stellst du dir das vor?»
«Als Erstes ist es wichtig, dass wir zusammenhalten, du und ich.»
«Das tun wir doch, Trudi. Seit vielen Jahren.»
«Ich meine, so richtig. Durch dick und dünn.»
«Chrrr …»
«Möpschen! Schlaf jetzt nicht wieder ein!»
«Ist ja gut, Trudi, ist ja … gut. Wir müssen also … chrrr … durch dück und dinn …»
«Friedhelm! Wach auf! Sei ein Mann! Zeig Stärke, Mut und Weitsicht! Ich muss mich auf dich verlassen können.»
«Das kannst du doch, meine Liebe.»
«Hundertprozentig?»
«Gewiss.»
«Du packst die Dinge an und tust, was
nötig ist?»
«Aber ja.»
«Gut. Dann steh jetzt auf!»
«Jetzt?»
«Es muss sein.»
«Weisst du verdammt nochmal, wie spät es ist?»
«Reg dich nicht auf! Dein Cholesterin –»
«Ja, ja, mein Spiegel! Was ist denn nun eigentlich los? Und wieso hast du nasse Haare?»
«Ich war draussen. Hör zu, mein Lieber, ich hab dir nicht die ganze Wahrheit erzählt.»
«Inwiefern?»
«Pauline hat ihre letzte Reise bereits angetreten. Vor einer halben Stunde. Kinderlos, wie sie ist. Und wir erklären uns bereit, die Bürde der Verwaltung ihrer Habseligkeiten zu übernehmen.»
«Wie bitte?»
«Friedhelm, steh auf und hol die Schaufel!»
Mitra Devi
Mitra Devi wurde 1963 in Zürich geboren und ist als Schriftstellerin, bildende Künstlerin und Filmemacherin tätig. 2001 veröffentlichte sie ihre ersten schwarzhumorigen Storys, die Radio DRS als «Schreckmümpfeli» ausstrahlte. Es folgten mehrere Krimis. 2013 erhielt sie für «Der Blutsfeind» den Zürcher Krimipreis. Devi arbeitet nun an ihrem Dokumentarfilm «Vier Frauen und der Tod».
www.mitradevi.ch