Die Stereoanlage sirrt wie eine Grille, die einen Eindringling aus ihrem Revier vertreiben will. Heidi Gehrig drückt noch einmal auf «Open» – das Gerät stellt sich tot. «Der Radio läuft, die Kassette auch, nur die CD kommt nicht mehr heraus», erklärt die Rentnerin. Sie ist an diesem Tag die erste Besucherin der Werkstatt von Reparaturia. Jetzt, kurz nach 14 Uhr, ist es hier noch ruhig. Aber nicht mehr lange.
Der Verein Reparaturia besteht seit 2021 und hat fünf Mitglieder. In ihrer Werkstatt in Zürich Oerlikon helfen sie jeden Mittwoch Menschen, die einen Haushaltsgegenstand flicken möchten. Bezahlen muss nur, wer nicht selber mit anpackt und sein Reparaturgut abgibt. Für Spenden steht ein blau funkelndes Sparschwein auf einem der Arbeitstische. Die Kellerwerkstatt in einem alten Mehrfamilienhaus ist der Traum jedes Bastlers: Schraubenzieher sind schön aufgereiht, auf einer Werkbank steht eine Standbohrmaschine, in den Regalen lagern Schmiermittel, auf vier Arbeitsplätzen ruhen Lötkolben.
Auf einem der Tische steht Heidi Gehrigs Stereoanlage, mittlerweile ohne Gehäuse. Mit viel Eifer rätselt die Rentnerin mit dem Vereinsmitglied und früheren Informatiker Martin Spörri: Wie gelangt man nur zwischen Platinen und Abdeckungen vorbei zur klemmenden CD-Schublade? Gehrig löst Schrauben, Erdungskabel und Steckverbindungen und sagt: «Ich hänge halt schon an dieser Anlage.»
Tüftelspass und Kampf gegen Verschwendung
Auch an den übrigen Pulten wird gearbeitet. Rolf Huber, pensionierter Feinmechaniker und Sozialpädagoge, flickt eine elektrische Zahnbürste – eine Auftragsarbeit. Gertraud Dudler leimt ihre Lesebrille. Gründungsmitglied Toni Waldvogel fehlt heute. Dafür brütet Kurt Gygax, ehemaliger Elektroingenieur, über einer grossen Kaffeemaschine mit offener Bauchhöhle. Auf dem Laptop daneben sucht er gerade eine Videoanleitung, die ihm beim Einbau eines Ersatzteils hilft. «Ich finde es schade, wenn so eine Kaffeemaschine einfach in der Entsorgungsstelle landet», sagt er. Und fügt hinzu: «Zudem ist es spannend, Lösungen für Probleme zu suchen.»
Diese Mischung aus Tüftelspass und einer Abneigung gegen Verschwendung treibt hier alle an. «Das Reparieren hat mich schon immer fasziniert. Ebenso wie der Gedanke, Geräte nicht wegwerfen zu müssen», sagt Rolf Huber. Die elektrische Zahnbürste, an der er eben noch gearbeitet hat, surrt wieder vor sich hin. Und erneut klopft es an der Kellertür.
Ein Sauerteigbrot als Dankeschön
In der Schweiz gibt es über 200 sogenannte Repair-Cafés und ähnliche Initiativen, die beim Flicken von Kleidern, Haushaltsgeräten oder Spielzeug helfen. Wie auch Reparaturia findet man sie auf der Website des Vereins Reparaturführer oder auf dem Online-Verzeichnis der Stiftung Konsumentenschutz. Tatsächlich nutzen auch immer mehr Menschen diese Angebote.
Die Schweizer Abfallbilanz ist dennoch wenig rühmlich: Pro Kopf produzieren wir jedes Jahr über 700 Kilogramm Siedlungsabfall, werfen rund 15 Kilogramm Kleider und 23 Kilo Elektroschrott weg. Und auch wenn unsere Recyclingquote gut ist: Reparieren gilt als ressourcen- und energieschonender. Alternativen zu unserer Wegwerfgesellschaft sind deshalb aktuell auch Thema von drei Schweizer Ausstellungen. Das Museum für Kommunikation Bern lädt mit «Planetopia – Raum für Weltwandel» seine Besucher ein, über ein ökologisch verantwortungsvolles Leben nachzudenken. Die Ausstellungsarchitektur selber besteht zu 90 Prozent aus wiederverwendetem Material.
Das Zeughaus Teufen wiederum öffnet mit «Applied Utopia» dem Schweizer Design-Kollektiv NCCFN die Türen. Dieses machte in der Vergangenheit mit Kollektionen aus Restposten grosser Modemarken von sich reden und widmet sich in Teufen den globalen Verkettungen der Modebranche. Das Museum für Gestaltung in Zürich schliesslich stellt in «Repair Revolution!» seinen Enwurf einer Reparaturgesellschaft vor. Die Ausstellung fragt etwa, welche Rolle bereits der Designprozess für die Reparierbarkeit eines Objekts spielt. Zudem zelebriert die Schau die Schönheit geschickt geflickter Objekte und lädt seine Besucher an ausgewählten Tagen ins Repair-Café.
In der Werkstatt von Reparaturia kräuselt sich blauer Rauch aus einer Getreidemühle, und für einen Moment herrscht Aufregung. Rolf Huber wollte das Gerät nur kurz testen, schon ist es überhitzt. «Das ist ein Fall für die Entsorgung, das tut mir leid», erklärt er dem Besitzer. «Manchmal ist es eben schwierig, Billigware aus China zu flicken.» Der ältere Herr nimmt es gelassen. Er hat noch zwei weitere defekte Geräte mitgebracht. Und einen halben Laib seines Sauerteigbrots als Dankeschön.
Wegwerfen wäre zu einfach
Die Stimmung an diesem Nachmittag ist kollegial. Es wird gewitzelt und gefachsimpelt. Um 16 Uhr gibt es Kaffee und Guetzli für alle. Ein Herr ist begeistert, dass seine Schneidmaschine wieder läuft wie zuvor. Und Heidi Gehrig freut sich mit dem Rentner, dessen veralteter Laptop von Martin Spörri nochmals auf Vordermann gebracht wurde. Nur ihre Stereoanlage, die will nicht so richtig.
«Ihr seid grossartig mit eurer Geduld. Aber ich gebe jetzt dann auf und schmeiss das Ding fort.» Davon will Kurt Gygax nichts wissen. Er hat sich mittlerweile des Problems angenommen, studiert die Mechanik der ausgebauten Schublade und des CD-Magazins. Wenig später hat er im Internet den Bauplan des Geräts ausfindig gemacht. Wegwerfen wäre zu einfach.
Verein Reparaturia
Jeweils Mi, 14.00–18.00 Jungstrasse 17, Zürich Oerlikon
Online
www.reparaturfuehrer.ch
www.repair-cafe.ch
Ausstellungen
Repair Revolution!,Bis So, 15.10., Toni-Areal Museum für Gestaltung Zürich
Planetopia – Raum für Weltwandel Bis So, 23.7. Museum für Kommunikation Bern
Applied Utopia Bis So, 4.6., Zeughaus Teufen AR