Wie aufregend dieser Herbst 2018 doch war, plötzlich redete die halbe Stadt vom Opernhaus! Ein russischer Regisseur, der in Hausarrest-Haft sass, hatte das Kunststück fertiggebracht. Man nahm am Schicksal von Kirill Serebrennikow teil, fieberte mit bei der Entstehung der Produktion, deren Ideen via USB-Stick und mit Hilfe der Anwälte von Moskau nach Zürich kamen. Dann ging der Vorhang zur Premiere hoch und die Leute zappelten vor Freude: Frech und voller Sex war «Così fan tutte». Genauso, wie es sich diese coole Stadt wünscht. Dass grundlegende Handlungsideen Mozarts unter den Tisch gewischt wurden, war dem jubelnden Publikum egal.
«Oper für alle» auf dem Sechseläutenplatz
Traurig war das, aber der Erfolg tat dem Opernhaus gut, der Schwung wurde gleich in Stephen Sondheims Musical «Sweeney Todd» mitgenom-men. Bariton-Star Bryn Terfel hatte sich das Stück gewünscht, das vom Zürcher Publikum gefeiert wurde. Keine Selbstverständlichkeit, hat doch das Musical in der Hochkultur einen schlechten Ruf. Aber wer ein paar Jahre zurückdenken will, weiss, dass das Opernhaus schon in den 80er-Jahren Musicals spielte, damit sich die Kasse füllte. Zum neuen Zürcher Kassendenken passte, dass man wie in vergangenen Jahren an Weihnachten 2018 darauf verzichtete, eine neue Kinderoper zu zeigen, und stattdessen den Klassiker «Hänsel und Gretel» spielte.
Die Saison ging munter weiter, mal modern (Ligetis «Le Grand Macabre»), mal gesetzt («Manon») – ja routiniert («Il turco in Italia»). Und so liegen denn nach diesen schönen Produktionen hohe Erwartungen in Verdis Kassenschlager «Nabucco», den Hausherr Andreas Homoki persönlich inszeniert. Auch der weltweit viel beschäftigte Chefdirigent Fabio Luisi zeigt sich dafür wieder einmal im Haus.
Seit 2012/2013 leitet das Duo das Opernhaus Zürich, wollte es nach der langen Ära von Alexander Pereira auffrischen, es dem Publikum öffnen: Es galt, wegzukommen vom Ruf der «Zürichberg-Oper». «Oper für alle» lautete das Schlagwort – einmal im Jahr erfüllt man es tatsächlich: Dann wird dazu eingeladen, sich auf dem Sechseläutenplatz eine Oper auf der Leinwand anzuschauen, die drinnen gespielt wird: Diese Saison ist mit «Romeo und Julia» das erste Mal eine Tanz-Produktion von Christian Spuck zu sehen: «Ballett für alle». Und damit nicht genug: Einen Abend zuvor zeigt man «Werther».
Das Vertrauen des Verwaltungsrates in Andreas Homoki ist enorm, sein Vertrag wurde frühzeitig bis Sommer 2025 verlängert. Nur Chefdirigent Luisi verabschiedet sich schon 2021. Der Abgang zeigt, dass in dieser vermeintlichen Wohlfühlgemeinschaft nicht alles so golden ist, wie es nach aussen glänzt.
«Du bist ein Star, wünsch dir was»
In der nächsten Saison machen die zwei Noch-Chefs keine gemeinsame Produktion. Homoki inszeniert im Februar Glucks «Iphigénie en Tauride». Die Opernfreunde wissen, was das heisst: Anfang Jahr ist für Primadonna Cecilia Bartoli jeweils der ideale Zeitpunkt, um in Zürich Oper zu singen und dazu eine Neuproduktion einzustudieren. Allerdings wird Bartoli nur gerade vier Mal als Iphigénie auf der Bühne stehen. Und trotzdem macht Homoki das alte Pereira-Spiel «Du bist ein Star, wünsch dir was» mit.
Das Opernhaus Zürich passt sich in der laufenden Saison nicht nur in der Ästhetik immer mehr dem alten Opernhaus an, sondern auch im Gebaren. Placido Domingo wird im Oktober für eine einzige «Nabucco»-Vorstellung vorbeischauen: Ein Highlight für Opernfreunde, die Karten werden bis 380 Franken kosten. Aber passt das zu jenen dramaturgischen Ideen, für die Homoki steht, dieses «Opernhaus für alle»?
Stars sind das Salz in der Opernsuppe, einst waren Galas normal, passten perfekt in den «Gemischtwarenladen» von Alexander Pereira. Aber dieser Ausdruck will zur Dramaturgie von Homoki, einem modernen Opernhaus mit klarer ästhetischer und programmatischer Linie, nicht passen. Wer nun aber die Produktionen der kommenden Saison überfliegt, wird vom Gedanken nicht loskommen. Sogar eine Operetten-Gala hat Platz im bunten Reigen, der mit Janáceks «Die Sache Makropulos» am 22. September eröffnet wird.
Eine enorm grosse Produktivität
Das Gezeigte kommt an: Die Gesamtauslastung des Opernhauses konnte in der Spielzeit 2017/18 gesteigert werden und betrug auf der Hauptbühne enorme 90 Prozent. Die Oper erreichte 88,3 Prozent, das Ballett einen unglaublichen Spitzenwert von 98 Prozent. Kein Wunder, sagt Ballettchef Christian Spuck, dass man in der kommenden Saison einiges wagen wird: Unter anderem vertanzt man «Das Mädchen mit den Schwefelhölzern» von Helmut Lachenmann (*1935).
Nach wie vor produziert das mit 80 Millionen subventionierte Haus enorm viel: «Eines der produktivsten Häuser Europas» nennt man sich im Saisonprogramm. Neun neue Opern- und drei neue Ballettproduktionen stehen an – rechnet man die Neuproduktion des Opernstudios in Winterthur und einer Ballett-Neuproduktion auf der Studiobühne hinzu, kommt man auf unglaubliche 15 Premieren. Insgesamt sind es 350 Veranstaltungen. Ein Kulturdampfer fährt erfolgreich, aber auch orientierungslos in die Zukunft.
Oper/Ballett
Warm-up Oper für alle: Werther
Fr, 21.6., 19.30
DVD-Übertragung
Sechseläutenplatz Zürich
Start Vorprogramm: 18.00
Eintritt frei
Ballett für alle: Romeo und Julia
Sa, 22.6., 20.00
Live-Übertragung
Sechseläutenplatz Zürich
Start Vorprogramm: 18.00
Eintritt frei
Nabucco
Premiere: So, 23.6., 19.00
Opernhaus Zürich