Wer ist der oder die Beste? Diese Frage hat in Wirtschaft oder Sport ihren festen wie unumstrittenen Platz. Ob sie sich auch für eine Herangehensweise an künstlerische Fähigkeiten eignet, darüber herrscht geteilte Meinung. So ist die Ausübung von Kunst für die einen ein eigenständiger Wert, der ausserhalb unserer Leistungsgesellschaft steht. Dem halten andere entgegen, dass der Wettkampf ein menschliches Grundbedürfnis sei und die Kunst als Spiegel der Gesellschaft nicht ausschliessen dürfe.
Trotz dieser kontroversen Ansichten sind Wettbewerbe so alt wie die Kunst selber und gehen bis ins antike Griechenland zurück. Mit der Gründung von Konservatorien und Musikakademien ab Mitte des 19. Jahrhunderts sowie einer Professionalisierung der Musikerausbildung wuchs das Bedürfnis nach Leistungsvergleichen nochmals. Einer der ersten institutionellen Musikwettbewerbe war der Anton-Rubinstein-Wettbewerb von 1890 bis 1910 in St. Petersburg, aus dem etwa der renommierte ungarische Komponist und Pianist Béla Bartók hervorging.
«Gut gemeinte Anschubhilfe»
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden auch jenseits der grossen Musikmetropolen mehr und mehr Wettbewerbe ins Leben gerufen. Ihre Anzahl ist seit den 50er-Jahren rasant gestiegen. Dem Weltverband der Internationalen Musikwettbewerbe in Genf gehören allein rund 120 hochstehende Wettbewerbe an. Die Zahl der nationalen und regionalen Anlässe wird weltweit auf mehrere Hundert bis über Tausend geschätzt. Es herrscht regelrechte Konjunktur. Kaum ein Instrument, kaum eine Besetzung, kein Genre, keine Stilrichtung, für die es heute keinen Wettbewerb gibt.
Diese «Inflation der Wettbewerbe» sei ein Zeichen der Hilflosigkeit, erklärt Professor Eckart Heiligers von der Zürcher Hochschule der Künste. Es gebe heutzutage viel mehr gut ausgebildete Künstler als früher. Dies sei allerdings nicht gleichbedeutend mit einer Mehrzahl an Talenten. «Wettbewerbe sind eine gut gemeinte Anschubhilfe, kein Siegel für die Ewigkeit», so die Meinung Heiligers’. «Weder machen alle Teilnehmer Karriere, noch ist eine Karriere ohne Wettbewerbe ausgeschlossen.»
Preisgelder als Finanzspritze
Dennoch: Manche Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen. Musikwettbewerbe sind eine wichtige Gelegenheit, um auf sich aufmerksam zu machen. «Ohne Wettbewerbe ist es schwierig, Veranstalter, Dirigenten, Agenturen kennenzulernen», so Heiligers, der allerdings gleich relativiert, dass Ausnahmen die Regel bestätigten. So hätten für manche Ausnahmekünstler Wettbewerbe kaum eine Rolle gespielt. Aber selbst ein Daniel Barenboim hat in jungen Jahren von einem gewonnenen Stipendium profitiert. Nicht zu unterschätzen sind gerade für junge Studierende die ausgeschriebenen Preise mit Geldsummen bis in den fünfstelligen Bereich, zudem Management-Verträge («Concours Géza Anda» in Zürich) oder sogar garantierte Konzerttourneen («Van Cliburn International Piano Competition» in Texas).
Mehr Leistung, bessere Nerven
Aber auch wer nicht zu den Erstplatzierten zählt, kann von einer Teilnahme profitieren, denn: Wettbewerbe trainieren und fördern die eigene Leistungsfähigkeit. «Wettbewerbe sind wunderbar, um ein bestimmtes, oft relativ grosses Repertoire zu einem gegebenen Zeitpunkt auf höchstem Niveau zu bringen», erklärt der Schweizer Pianist Francesco Piemontesi. «Ich habe selber gemerkt, wie viel gründlicher ich dafür vorbereitet war als für ein normales Konzert. Diese Tatsache habe ich zum Anlass genommen, genauso für jeden Auftritt zu üben.» Und dann wäre da noch das Nervenkostüm, das für eine erfolgreiche Karriere keine unbedeutende Rolle spielt. «Wer keine Nerven für Wettbewerbe hat, hat sie auch nicht für Konzerte», bringt es Eckart Heiligers auf den Punkt.
Gerade für junge Nachwuchskünstler sei es von besonderem Wert, wenn sie statt vor einer Fachjury vor «echtem» Publikum spielen können, so Nando von Allmen, Geschäftsführer der 57. Interlaken Classics. In deren Rahmen wird in diesem Jahr der 10. Prix du Piano Bern ausgetragen. Die vier internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden von zwei Experten aus einem Pool von rund 50 Kandidaten ausgesucht. Sie hatten sich entweder mit einer Spielprobe beworben oder im Rahmen anderer Wettbewerbe oder Konzerte auf sich aufmerksam gemacht. Die Endausscheidung liegt nun in den Händen des Publikums. Rund 600 Zuhörer stimmen über die Ränge eins bis vier ab, die mit Preisgeldern zwischen 1000 und 10 000 Franken dotiert sind.
Für manche der Teilnehmenden ist es die Höhe des Preisgeldes, die für eine Bewerbung ausschlaggebend war. Ruhm und Ehre seien zwar motivierend, aber die Kunst allein mache nicht satt, so die pragmatische Haltung von Nuron Mukumi, einem der diesjährigen Wettbewerbsteilnehmer. Auch er glaubt nicht daran, dass künstlerische Leistungen objektiv messbar sind. Dennoch nimmt er an Wettbewerben teil – und befindet sich damit in guter Gesellschaft. Hat doch schon kein Geringerer als Béla Bartók einst konstatiert: «Competitions are for horses, not artists.»
Prix du Piano Bern
So, 26.2., 17.00 Kursaal Bern
Mit Liza Kliuchereva (Russland)
Xiaoyu Liu (Kanada)
Nuron Mukumi (Usbekistan/Deutschland)
Juan Pérez Floristán (Spanien)
6 Fragen an Oliver Schnyder
«Oft bleiben die mutigsten Kandidaten bei Wettbewerben auf der Strecke»
Der Schweizer Pianist Oliver Schnyder hat in seiner Laufbahn selber an diversen Wettbewerben teilgenommen, war Jury-Mitglied zahlreicher schweizerischer Hochschulwettbewerbe. Seit 2014 ist er Jury-Präsident bei Anlässen des Migros-Kulturprozents.
Im Interview äussert er sich zur Bedeutung von Musikwettbewerben.
kulturtipp: Warum nehmen Musiker an Wettbewerben teil?
Oliver Schnyder: Ich denke, dass sie einer längeren Zeitperiode im Leben eines jungen Musikers Struktur und ein klares Ziel geben. Wettbewerbe helfen, Erfahrungen zu sammeln mit dem enormen Druck, dem man als auftretender Künstler im Berufsleben ausgesetzt ist.
Ist die Teilnahme also ein Muss für jeden ambitionierten Musiker?
Die meisten erfolgreichen Musiker haben sich zwar aus den genannten Gründen an Wettbewerben gezeigt und waren da und dort erfolgreich. Ich wage allerdings zu behaupten, dass dies für ihre Karrieren nicht die entscheidende Rolle gespielt hat.
Selbst eine erfolgreiche Teilnahme an Wettbewerben ist also kein Garant für eine ebenso erfolgreiche Karriere?
Keinesfalls. Eine reine «Wettbewerbskarriere» kann an sich schon negative Auswirkungen haben: Das Label «Erstpreisträger» ist derart inflationär, dass man damit kaum jemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockt.
Wie ist ein Wettbewerbstitel aus künstlerischer Sicht einzuordnen?
Etwas zugespitzt formuliert: Die Gewinner sind in der Regel diejenigen, die den durchschnittlichen Jurygeschmack am wenigsten beleidigen, die möglichst wenig polarisieren, auch weniger riskieren zugunsten einer möglichst fehlerfreien, stromlinienförmigen Wiedergabe der Werke. Dabei wird den jungen Künstlern signalisiert: Ducke dich, geh durch die Mitte, zeige dich nicht, wage nichts wirklich Aufregendes, denn das polarisiert sofort. Farbe bekennen ist riskant. Oft bleiben die künstlerisch interessantesten und mutigsten Kandidaten bei Wettbewerben auf der Strecke.
Die Zahl der Musikwettbewerbe ist über die letzten Jahrzehnte stark gestiegen. Was halten Sie von diesem Trend?
Die Menschen lieben das Kompetitive, den Vergleich. Diesem Umstand wird also entsprechend Rechnung getragen. Und das ist gut so. Wettbewerbe sind eine Art Demokratisierung einer ansonsten etwas elitären, mit Schwellenängsten besetzten Szene, denn jeder kann mitmachen, jeder kann mitreden.
Lassen sich musikalische Parameter wie Klang, Tempo oder Dynamik anhand eines objektiven Massstabs bewerten?
Ich denke schon, dass sich die einzelnen Parameter, aus denen sich Musik zusammensetzt, ziemlich objektiv beurteilen lassen. Ihre Gewichtung bleibt jedoch Ermessenssache des Jurymitglieds. Die künstlerische Aussage, dort, wo man als Hörer berührt wird, dort, wo Magie entsteht: Ja, sie entzieht sich jeder Objektivierung. Hier wird man auch als professioneller Hörer dem eigenen Erleben unterworfen. Das sind Momente des Glücks. Um genau diese Momente geht es ja in der Kunst; man kann sie nicht mit Worten beschreiben, geschweige denn messen.
Konzert
Mo, 27.2., 19.30 Tonhalle Zürich
In der Reihe «Meisterinterpreten in Zürich» spielt Oliver Schnyder Werke von Beethoven, Brahms, Bartok