Plötzlich waren sie in aller Munde. Und auf allen Bildschirmen. Die Zürcher Folk-Band Black Sea Dahu startete 2018 durch. Auch dank Spotify. Lange wurde der schwedische Musikstreaming-Dienst von der Musikszene kritisch beäugt: Zu wenig Geld fliesse an die Künstler, Musik verliere an Wert und ginge in der Masse unter.
Das klingt heute anders. Etwa bei Andreas Ryser, der beim Plattenlabel «Mouthwatering Records» den Erfolg von Black Sea Dahu mitverantwortet. Im Gespräch mit dem kulturtipp bezeichnet er Spotify als Sprungbrett, das die Bekanntheit steigert, Touren ermöglicht und schliesslich auch finanziell einschenkt. Und er sieht im Streaming die Zukunft. Das überrascht, war das Musikbusiness doch noch vor wenigen Jahren am Boden zerstört. Auf den CD-Boom in den 90er-Jahren folgte der Absturz. Das Internet öffnete Schranken für die Piraterie, förderte die Gratiskultur und liess mit Tauschbörsen wie Napster die Verkäufe einbrechen.
Dann hatte der Programmierer Daniel Ek die zündende Idee: Musik über das Internet streamen, statt sie zu besitzen. Jeder soll in Sekundenbruchteilen auf eine gigantische Musiksammlung zugreifen können. Von den Rolling Stones bis zu norwegischer Klassik. Immer und überall.
Nach erfolgreichem Test in Schweden startete Spotify 2006 weltweit. Anfang 2019 knackte der Marktführer die Grenze von 100 Millionen zahlenden Kunden. Zusammen mit der Gratisversion greifen monatlich 217 Millionen auf den Dienst zu. Das lässt auch die letzten Skeptiker verstummen. Etwa Popstar Taylor Swift oder die Deutschpunker Die Ärzte, welche Spotify jahrelang boykottierten. Heute sind sie dabei, alle beide.
Bekanntheit statt Geldsegen
Das Geschäftsmodell von Spotify ist simpel: Das Unternehmen schliesst Verträge über die Nutzungsrechte von Musik mit einem Vertrieb ab. Anschliessend werden die Songs auf Handys, Tablets oder Computer gestreamt. Einnahmen generiert man mit werbefreien Premium-Abos, die rund 13 Franken monatlich kosten. Und mit Werbung beim eingeschränkten Gratiszugang. All dies fliesst in einen Topf, aus dem pro gespieltem Song Geld an die Vertriebe fliesst. Laut Ryser variieren die Deals der Künstler enorm: Von 15 bis zu 90 Prozent der Einnahmen können bei ihnen landen.
Jannik Till, Drummer der Indie-Band What Josephine Saw und Manager von James Gruntz, nutzt mit seiner Band den Zürcher Digital-Vertrieb iMusician. 70 Franken wurden ihnen 2018 für 30 000 Streams eines einzelnen Songs ausbezahlt, wie er sagt. Runtergerechnet 0,2 Rappen pro Stream. Das schenkt nicht ein. Doch Tills Band gewinnt Hörer, und diese besuchen Konzerte.
Sobald Songs aber rund um den Globus Millionen Mal gehört werden, ist es für die Musiker einträglicher. Vom Zürcher Electronica-Produzenten Melodiesinfonie etwa wurden einzelne Stücke 4,5 Millionen Mal abgespielt. Das jazzig angehauchte Hintergrundgeplätscher ist massentauglich und landet in Spotify-Playlists wie «Jazz Vibes». 241 000 Hörer folgen dieser. Und generieren Einnahmen.
Das Ziel: Auf eine Playlist von Spotify kommen
Während Konkurrenten wie Apple Music auf Künstler und Alben bauen, setzt Spotify auf Playlists. Diese werden nach Stimmungen, Tageszeiten, Genres oder Aktivitäten erstellt und heissen «Deep Focus», «Alternative Generation» oder «Yacht Rock». Sie versprechen Millionen von Zuhörern – und damit Geldsegen und Bekanntheit.
Zusammengestellt werden sie von Spotifys eigenen Kuratoren. «Ist einer der Kuratoren an einem Networking-Festival, ist er sofort von einer Menschentraube umzingelt», erzählt Jannik Till. Persönlicher Kontakt sei selten. Spotify aber hat sein System mit einem Künstler-Zugang demokratisiert: Jeder Musiker bekommt bei Veröffentlichungen die Chance, einen Song für Playlists vorzuschlagen. Der Erfolg stellt sich allerdings selten ein. Auch wegen der schieren Masse an Konkurrenz: Pro Woche werden aktuell 240 000 Songs veröffentlicht. Laut Musikmanager Ryser kann die Erwähnung von Spotify auf Twitter, Facebook oder Instagram helfen, den Kontakt herzustellen. Garantien aber gibt es keine.
Die Kasse klingelt erst nach 30 Sekunden
Ryser sieht die Macht des Streaming-Anbieters als zu gross: «Wenn Spotify einem Künstler bei der Veröffentlichung nicht hilft, ist er sozusagen verloren.» Die Kasse klingelt pro gespieltem Song, aber erst nach 30 Sekunden. In gewissen kommerziell orientierten Genres verändert dies die Musik. Etwa beim deutschen Rap: Bewusst werden Stücke nur zweieinhalb Minuten lang produziert. Und beginnen ab Sekunde null mit Vollgas. Keine Intros, keine Steigerung. Angepasst an die Hörgewohnheiten junger Hörer: Anklicken, weiterklicken, wegklicken.
Da Plays Geld versprechen, hat sich eine eigentliche Branche um das Streaminggeschäft gebildet. Der deutsche Youtube-Kanal «Y-Kollektiv» deckte kürzlich in der Doku «Der Rap Hack» auf, dass sich über manipulierte Spotify-Konten Plays kaufen lassen. Ein geschäftstüchtiger Hacker verhilft darin einem Rap-Song über Nacht zu Tausenden Klicks. Und er gibt zu, zahlreichen Rappern gegen Bezahlung zu Bekanntheit verholfen zu haben.
Ein Hit kann eine Band weltberühmt machen. Mit Glück hat das wenig zu tun. Vielmehr stecken dahinter ein schlaues Konzept bei Spotify und zielgerichtetes Marketing. «Wer es schafft, seine Fans zu mobilisieren, um die eigene Musik bei Spotify zu hören, verbessert damit die Arbeit des Algorithmus», sagt Ryser. Das helfe auch bei Konzert-Bookings: «Wenn man in einer Stadt 20 000 Spotify-Hörer hat, ist das definitiv ein Argument, um eine Band zu buchen.»
Auf lange Sicht lohnen sich Streamingdienste also für die Künstler. Aber nur, wenn sie überzeugende Musik liefern, da sind sich Till und Ryser einig. Und man muss hart arbeiten und etwas opfern. So wie Black Sea Dahu: jahrelang krampfen, Social Media beackern, auf kleinen Bühnen spielen und auch mal im Schlafsack in fremden Wohnungen übernachten.
Überragender Algorithmus
Spotify bietet beim Entdecken neuer Sounds unglaubliche Möglichkeiten. Das liegt am ausgeklügelten Algorithmus, der mit künstlicher Intelligenz neue Musik für jeden Hörer entdeckt. Sie spült jedem Nutzer einmal wöchentlich 30 Songs in die Playlist «Dein Mix der Woche» und generiert laufend personalisierte Mixtapes. Eigene Vorlieben und Hörgewohnheiten anderer Fans, aber auch gehörte Playlists, übersprungene Songs und «Mikro-Genres» wie «französischer Synth-Pop» fliessen mit ein. Man könnte einwenden, dass Spotify die Hörgewohnheiten zu stark lenkt. Aber das tut auch der Plattenladen oder der Radiosender mit seiner Vorauswahl. Nur selten so treffsicher.
App für Tablets, Smartphones und Computer
Spotify Free: Kostenlos, aber mit Werbung, nur online und mit Zufallswiedergabe.
Spotify Premium: Fr. 12.95 pro Monat, werbefrei und uneingeschränkt Musik hören.
www.spotify.com
Alternativen: Apple Music, Tidal, Google Play Music, Amazon Prime Music, Deezer