Musikdorf ernen - Abseits ausgetretener Pfade
In der «Klavierwoche» im Musikdorf Ernen gibt es spannende Pianisten zu erleben, deren Programm sich sehr unkonventionell präsentiert. Das Finale gehört einmal mehr dem Virtuosen Konstantin Scherbakow.
Inhalt
Kulturtipp 14/2012
Christian Berzins
Es war eine grandiose Unverschämtheit, die der russische Pianist Konstatin Scherbakow zum Finale der «Klavierwoche» Ernen vor einem Jahr lieferte: Franz Liszts kühne Bearbeitung von Ludwig van Beethovens 2. Sinfonie hatte er ausgewählt. Wer danach taumelnd aus der wunderschönen Kirche trat und auf die das Rhonetal sanft umgarnende Bergwelt blickte, dachte ungern an nüchterne Konzertenden in Aarau oder Zürich zurück.
Die Einfachhei...
Es war eine grandiose Unverschämtheit, die der russische Pianist Konstatin Scherbakow zum Finale der «Klavierwoche» Ernen vor einem Jahr lieferte: Franz Liszts kühne Bearbeitung von Ludwig van Beethovens 2. Sinfonie hatte er ausgewählt. Wer danach taumelnd aus der wunderschönen Kirche trat und auf die das Rhonetal sanft umgarnende Bergwelt blickte, dachte ungern an nüchterne Konzertenden in Aarau oder Zürich zurück.
Die Einfachheit des selbst ernannten Musikdorfes ist bezaubernd. Sollen die in Verbier doch in der Pause für 18 Franken Cüpli aus dem Plastikbecher trinken; in Ernen gibts einen Schluck Brunnenwasser aus der hohlen Hand. Intensiv fängt es mit den beliebten Einführungen im Tellenhaus des pensionierten Radio- DRS-2-Chefs Arthur Godel an.
Stammgäste zu Besuch
Scherbakow, dieser unauffällige, schlichte, und trotz Dutzender Einspielungen immer wieder unterschätzte 49-Jährige, kommt dieses Jahr erneut ins Walliser Musikdorf Ernen und präsentiert einmal mehr einige Ungeheuerlichkeiten aus dem virtuosen Schauerkabinett: Nach der 2. wird er nun Liszts Bearbeitung von Beethovens 6. Sinfonie folgen lassen. Liszts «Totentanz» für Klavier solo oder Camille Saint-Saëns’ «Danse macabre», in einer Co-Transkription von Franz Liszt und Vladimir Horowitz, kommen hinzu.
Auch der Venezianer Pietro de Maria, einstiger Gewinner des Géza-Anda-Wettbewerbs, ist ein Stammgast. Als solcher darf er in Ernen an einem Abend Fugen und Mazurken spielen, Chopin und Bach verbinden und Prokofjews 7. Klaviersonate als Zugabe hindonnern. Daneben reisen die Pianisten Anna Fedorova und Jinsang Lee mit nicht minder verlockenden Programmen an. Zu sehen sind auch Klavierfilme, einen über den schwei-zerisch-ungarischen Pianisten Geza Anda, ein anderer über die österreichische Pianistin Aliza Sommer-Herz, die dank ihrer Musik das Konzentrationslager Theresienstadt überlebte.
All das gibts für wenig Geld. Die Eintrittspreise in Ernen sind so charmant wie das Dorf: Konzerte der «Klavierwoche» kosten 35 (die Filme sind sowieso gratis), jene von «Barock» 45 (15.7.–26.7.), die von «Kammermusik plus» 55 Franken (29.7.–11.8.). Kein Wunder, kommen während der ganzen Saison rund 4500 Besucher. Das sind neunmal so viel, wie Ernen Einwohner zählt. Rund ein Fünftel der Klavierfreunde sind Abonnenten: Sie besuchen gleich die ganze Klavierwoche.
Kein Sorgenkind mehr
Die Zahl der Besucher zeigt, dass das einstige Sorgenkind «Klavierwoche» dank eines spannenden Rahmenprogramms und kluger Dramaturgie zum Geheimtipp geworden ist. Die Festival-Tradition des Musikdorf-Gründers und Pianisten György Sebök (1922–1999) bleibt somit bewahrt. Francesco Walter, nimmermüder Intendant des «Musikdorf Ernen», zeichnet eine gesunde, freudige Bescheidenheit aus: «Wenn ich 250 Karten für Pianist Hüseyin Sermet verkaufe, ist das doch toll!» Sowieso: Hier werden nicht Rosinen gepickt, sondern wird auf Walters Programmierung vertraut. Deswegen kann Ernen auf ein Stammpublikum zählen.
[CD]
Konstantin Scherbakow
Soirée Russe (Naxos 2012).
[/CD]