Pizza, Pasta, Gianna
«Wir sind immer noch im Stau, das Auto steht», singt Gianna Nannini in «Maledetta confusione». Die Rocksängerin versetzt einen nicht nur in die letzten Italienferien, sondern beginnt bereits mit der Fahrt dorthin. Nannini ist trotz ihren 70 Jahren noch voller Energie und veröffentlichte im Frühling neben ihrer Netflix-Biografie auch ihr neues Album «Sei nell’anima».
In den zwölf Liedern wechseln sich melancholische Balladen und energiegeladene Banger ab, die Sehnsucht mit politischer Kritik verbinden. In ihren eingängigen Rockmelodien mit italienischen Texten über Liebe, toxische Beziehungen und Verlust bleibt sich Nannini treu.
Ihre raue Stimme ist nicht ohne Grund der Soundtrack unzähliger Heimweh-Italienerinnen und Fernweh-Italienfreunde. Zum inbrünstigen Gesang der Grande Gianna lässt sich wunderbar eine Pastasauce einkochen, ein Stau überstehen, eine alte Liebe bei einem Tanz neu entdecken oder einfach in Erinnerungen schwelgen.
Album
Gianna Nannini
Sei nell’anima
(Columbia Records 2024)
Headbangen auf Finnisch
Düstere Texte über innere Kämpfe, kontrastiert durch schnelles Schlagzeug. Extremer Metal passt gut nach Finnland, wo die Sonne mal durchgängig, mal nie scheint. Die Trash-Metal-Band Mokoma brachte im März ihr neues Album «Myrsky» (Sturm) heraus. In «Malja stille» springt ihnen Punksängerin Anni Lötjönen zur Seite. Ein Album für durchtanzte Nächte unter der Mitternachtssonne, das auch Metal-Neulinge abholt.
Mokoma
Myrsky
(Sakara Records 2024)
Beyoncé goes Nashville
Die R&B- und Pop-Sängerin Beyoncé bringt die USA zusammen. Mit «Cowboy Carter» legt sie einen monumentalen Ritt durch die – auch schwarze – Geschichte der Countrymusik hin. Sie verpasst Dolly Partons «Jolene» mehr Selbstbewusstsein, weckt mit «Texas Hold’ em» Tanzbeine und galoppiert mit ihrem Trap-Country in «Spaghettii» über Genregrenzen hinweg. Ein Album, so amerikanisch wie ein glitzernder Cowboyhut.
Beyoncé
Cowboy Carter
(Columbia Records 2024)
Klangerinnerungen an Izmir
Wer den melodiösen Wohlklang der türkischen Sprache mag, wird das neue Album von Nilipek lieben. Die Musik der 36-jährigen Songwriterin klingt zwar nach urbanem Pop. Denn Nilipek ist in Izmir geboren, lebt heute aber in Berlin. Von diesem westlichen Hotspot aus denkt und hört sich die Sängerin zurück in ihre alte Heimat und singt noch immer türkisch.
Mit sanfter Stimme analysiert sie das Zusammenleben in einer globalisierten, aber keineswegs friedlichen Welt und hinterfragt «die Spiele, die wir erfunden haben», wie sich der Albumtitel übersetzen lässt. Beim Hören kommt Fernweh nach dem östlichen Mittelmeer auf, denn Nilipek durchsetzt ihre Popsongs mit Harmonien und Rhythmen der türkischen Volksmusik.
Album
Nilipek
Uydurdugumuz Oyunlarla
(Nilipek 2024)
Junge Stimme des Chanson
Ihre Chansons bleiben hängen. Als Emma Peters in Teeniejahren erste Covers ihrer Vorbilder Véronique Sanson oder MC Solaar ins Netz stellte, war es um die Franzosen geschehen. Millionenfach streamten sie die Sängerin aus Senlis mit der leicht rauen, aber warmen Stimme.
Nach ihrem Debüt von 2022 folgt nun die Bestätigung mit «Tout de suite». Emma Peters (27) ist eine vielversprechende neue Stimme des Nouvelle Chanson.
Emma Peters
Tout de suite
(Bang 2024)
Irische Songs wie Wolken
Man muss nicht für den irischen Tourismusverband arbeiten, um zu sagen: Folk gehört zur Insel wie die grünen Hügel. Seit dem Revival der späten 1950er hat das Genre dort eine lebendige Szene von Hobbymusikern und eine Reihe spannender Singer Songwriter hervorgebracht.
Zu ihnen gehört auch Conor O’Brien mit seinem Bandprojekt Villagers, der seinen Indie-Folk immer wieder neu aufbricht. Auf dem Album «That Golden Time» legt er seinen brüchigen Gesang über Psychedelia und Chamber Pop, über sanft gezupfte Gitarrenstücke und Klavierballaden mit dramatischen Wendungen.
Man könnte das Album gut mit Kopfhörern auf dem Dubliner Vorortszug hören. Den Blick aufs Meer gerichtet, jeden dieser luftig-melancholischen Songs einer der Wolken über der Irischen See gewidmet.
Album
Villagers
That Golden Time
(Domino 2024)
Beschwingter Andensound
Vor bald 30 Jahren löste Ry Cooders «Buena Vista Social Club» die Salsa-Welle aus. Weit vielfältiger war dann der Sound von Leuten wie La Yegros mit ihrer hippen Andenmusik, in die sich nebst der Cumbia andere Folkloren Süd- und Mittelamerikas mischten.
Längst ist die Argentinierin zur Queen of Nu Cumbia geworden. Auf ihrem Album dudeln Andenflöten zu Akkordeons, synkopierte Trommeln zu sirrenden Synthie-Linien.
La Yegros
HAZ
(X-Ray Productions 2024)
In vier äthiopischen Sprachen
Die italo-äthiopische Sängerin Gabriella Ghermandi hat die Musik ihrer ostafrikanischen Vorfahren studiert, die sich im letzten Jahrhundert bis zum Ethiojazz entwickelte. Mit dem musikethnologischen Atse Tewodros Project legt sie das Album «Maqeda» vor, das einen anderen, nicht minder mitreissenden Afrosound offenbart. Ghermandi und Co. singen in den vier äthiopischen Sprachen Amharisch, Gofa, Gamo und Kumana.
Atse Tewodros Project
Maqeda
(Galileo Music 2024)
Mit Pep aus Korea
Wer in die fernöstliche Klangwelt hineinhören will, kann beim K-Pop beginnen. Der Sound südkoreanischer Boy- und Girlgroups beruft sich auf alte Musiktraditionen.
Die zahlreichen Bands und Hits ähneln sich in ihrer artifiziellen Machart, indem digitale Beats mit oft mehrstimmigem und durch Autotune verfremdetem Gesang und Rap überlagert wird. Die Band Ateez zählt seit 2018 zu den Stars und legt nun ihre zehnte EP vor.
Ateez
Golden Hour, Part.1
(KQ Entertainment/RCA 2024)