kulturtipp: Herr Müller, wie viele Konzerte initiieren Sie im Jahr?
Christoph Müller: Etwa 200 Konzerte für 160 000 Menschen. Darunter 80 mit dem Kammerorchester Basel weltweit, 55 beim Menuhin Festival in Gstaad, der Rest bei unseren Konzertreihen, unter anderem in Luzern, Rheinfelden sowie der Cappella Gabetta.
Welcher Grundgedanke steht hinter einem Konzert?
Ich versuche, jedem Konzert ein Gesicht zu geben, damit von aussen erkennbar ist, was hinter der Programmidee steht. Wichtig ist die Mischung zwischen Solist, Dirigent und Programm sowie die Rücksicht auf deren Stärken – das muss Sprengkraft haben. Erhält ein Solist diese Bühne, muss es eine Persönlichkeit mit Charisma sein, ein Sympathieträger, der das Publikum erreichen kann. Abgelöschte Kopfmusiker, die das Intuitive vermissen lassen, kommen schlecht an.
Somit spielt die Frage mit: Wie verkaufe ich den Abend?
Absolut. Jedes Programm muss publikumswirksam sein. Ich muss in allen meinen Projekten daran denken, weil ich viele selbst verkaufen muss: In Gstaad an die Sponsoren und einem breiten Publikum oder das Kammerorchester Basel an Konzertveranstalter. Ich bin nicht der hochsubventionierte Veranstalter des städtischen Orchesterbetriebs, der 15 Millionen Franken zur Verfügung hat und auf gut Glück drauflosplanen kann. Ohne Verkauf finden meine Projekte nicht statt.
Wie stark lenkt das Verkaufsdenken die Auswahl des Solisten?
Der Personenkult nimmt weiter zu. Bei deutschen Konzertveranstaltern in kommerziellen Reihen läuft mittlerweile alles über Solisten; sogar Projekte mit weltberühmten Orchestern. Ein Beispiel: Sol Gabetta tourt im Spätsommer 2016 als Cello-Solistin mit dem weltberühmten Concertgebouw Orchester Amsterdam. Selbst mit diesem Kaliber ist Sol die Lokomotive des Konzerts. Das ist fast unheimlich.
Nur der Star zieht – ausgefeilte Programme und Neue Musik sind dem Publikum egal.
Das Tournee-Geschäft ist knallhart. Man muss das Spiel mitmachen, wenn man am Geschäft teilnehmen will, und Strategien entwickeln, um ein Orchester dennoch lebendig und innovativ zu erhalten. Sogenannt radikale Programme mit ausschliesslich Neuer oder alter Musik finden zunehmend in spezialisierten Festivals und Konzertreihen statt, was positiv ist.
Ist es wichtig für Konzertveranstalter, etwas Neues, Originelles zu machen?
Ich bin sehr skeptisch, wenn der deutsche Geiger David Garrett Beethoven verpoppt. Die klassische Musik braucht keine Verzerrung. Alles rundherum ist aber modellierbar. Die Aufführungsformen sind an vielen Orten festgefahren, ein strenges Ritual, das mit dem fixen Konzertbeginn anfängt. Mit Konzertformen kann man aber wunderbar spielen, auch mit den Lokalitäten. Warum etwa ein Stück nicht zweimal spielen?
Machen Sie so etwas?
Zugegeben, es ist schwierig, und wir gelangen erneut zur Frage: Geschieht das in einem kommerziellen Umfeld, oder ist da ein öffentlicher Auftrag dahinter, Subventionsgeld? Das sind zwei verschiedene Ausgangslagen.
Ist es also unmöglich, dass das Kammerorchester Basel die 5. Sinfonie Beethovens einst zweimal hintereinander spielt?
Wir unternehmen im Rahmen unseres Haydn-2032-Projektes in Basel, Wien und Berlin spannende Versuche. Sie sind ein Experimentierfeld für mich, denn hier kommen wir von den normalen Konzertformen weg und zelebrieren eine Nacht für alle Sinne: mit Musik, Foto-Präsentation, Literatur, Werkgesprächen und Gastronomie. Haydn bleibt das Zentrum, aber wir möchten andere Sinne anregen, um die Musik in ein Ganzes zu stellen.
Ist das Publikum in Basel anders als in Gstaad?
Nein. In einem Konzert sitzen meist alle bunt gemischt: Kenner, Liebhaber, solche, die nur wegen des Cüpli kommen, solche, die wegen des Stars da sind. Mal gibts von jenen etwas mehr, mal von diesen. Aber es ist ein Vorurteil, zu glauben, die Spielstätten würden sich unterscheiden.
Chistoph Müller
Der 1970 geborene Cellist ist CEO des Menuhin Festival Gstaad und Konzertmanager des Kammerorchester Basel. Im Jahr 2006 gründete er mit seiner Partnerin Sol Gabetta das Solsberg-Festival.
Aufführungen und Infos
Gstaad Menuhin Festival
Bis Sa, 5.9. / www.gstaadmenuhinfestival.ch
Kammerorchester Basel
Ab Di, 15.9. / www.kammerorchesterbasel.ch
Klassiksterne Rheinfelden
Ab Mi, 30.9. / www.klassiksterne-rheinfelden.com
Swissclassics
Ab So, 1.11. / www.swissclassics.ch
Landgasthof Riehen
Ab So, 6.12. / www.landgasthof-riehen.ch