Das Theaterstück «Die Hamletmaschine» erinnerte an die Zeiten der untergehenden DDR. Der deutsche Dramatiker Heiner Müller schrieb 1977 eine kurze, nur neun Seiten umfassende Inhaltsangabe des Klassikers von William Shakespeare. Es sollte «in freier Anlehnung an Shakespeares Vorlage die Situation des Intellektuellen in der DDR reflektieren». Der deutsche Komponist Wolfgang Rihm verfasste zehn Jahre später eine musikalische Fassung des Werks in fünf Teilen.
Aufwühlende Musik
Wolfgang Rihm sorgt seit Jahren für Schlagzeilen. Schon als 1976 in Donaueschingen Rihms Orchesterstück «Sub-Kontur» uraufgeführt wurde, versetzte das die Gemüter in höchste Aufregung: Zu Beginn ein Paukengedonner, gefolgt von einer langen Pause, und wieder Gedonner, und Pause, und wieder und wieder, undifferenziert und simpel, als müsse da einer etwas zusammenschlagen. Aber es kam noch schlimmer: Alsbald schien es, als würden aus diesen Trümmern Fragmente einer romantischen Musik, ja einer brucknerschen oder mahlerschen Sinfonik wiederauferstehen.
Der damals 24 Jahre junge Komponist aus Karlsruhe war zuvor schon im Gespräch – und danach erst recht. Unmittelbar nach der Uraufführung setzte in Donaueschingen ein Buhkonzert ein. Der Kritiker der «Zeit» schrieb damals: «Da hilft nur ein Schnaps.» Die Szene war sich einig im vernichtenden Urteil, sie lehnte diese Musik ab, aber sie vergass sie dann doch nicht. Leicht nämlich hätte sich nun der Vorhang des Vergessens über diesem Stück schliessen können, wie so oft. «Sub-Kontur» jedoch blieb haften. Und bald begegnete man diesem Komponisten wieder, mit anderen Stücken, die einen ebenso aufwühlten, und mit einem intellektuellen Ansatz, von dem aus es möglich wurde, die Neue Musik wieder anders zu denken.
Grosser Schaffer
Der heute 63-jährige Wolfgang Rihm wuchs in Karlsruhe auf. Angeregt durch frühe Begegnungen mit Malerei, Literatur und Musik, begann er 1963 zu komponieren. Er ist heute einer der führenden deutschen Komponisten, ist Professor für Komposition, Autor zahlreicher Bücher und ein Wegbereiter der Neuen Musik. Die Welt, die er mit seinen über 400 Kompositionen geschaffen hat, ist ein Universum.
Die Neue Musik dünkt sich zwar auf der Höhe der Zeit, aber es bleiben dennoch stets Fragen aus der Vergangenheit, die unbeantwortet sind und die neu gestellt werden können. Die schwebenden und häufig unerwarteten tonalen Verläufe des französischen Komponisten Gabriel Fauré gehören etwa dazu, die heute noch Hörerlebnisse sind. Rihms Musik ist voll davon, sie ist anders als alles andere. Man kann sie nicht einmal nachahmen. Er geht dabei heute kaum mehr programmatisch vor, und es geht ihm auch nicht darum, alte historische Probleme zu lösen. Es ist einfach so, dass ihn umtreibt, was er hört, und dass er sich dagegen nicht immun macht. Es gehe nicht darum, etwas auszuschliessen, was in einer Neuen Musik nicht vorkommen dürfe, sagte er schon früh in einem Vortrag, solche Exklusivität war ihm fremd. Wichtiger war ihm einzubeziehen, was ihn beschäftigte. Das konnte ein historisches Klangmaterial sein. Schubert etwa taucht als Reflex in mehreren frühen Stücken auf. Es waren aber Zeitgenossen wie Luigi Nono oder Morton Feldman, später mehrmals Brahms. Zu dessen vier Sinfonien schrieb Rihm einen vierteiligen Zyklus von vier Orchesterstücken: «Nähe fern», uraufgeführt vom Luzerner Sinfonieorchester.
«Mit Brahms»-Musik
Das ist kein fröhliches Zitieren, obwohl bekannte Brahms-Stellen auftauchen. Vielmehr schwimmen brahmssche Musikpartikel, losgelöst vom komponierten Zusammenhang, in einer Magma herum, sie binden und formieren sich anders, als wir das gewohnt sind, eine vertraute Melodie dreht sich auf einmal in eine völlig neue Richtung, die Kontrapunkte ballen sich zuweilen zu einer Klanglava. Es ist kein «nach Brahms», sondern ein «mit Brahms»: Musik aus Musik, sich entwickelnd, improvisatorisch fast, vor allem frei, befreit von vielen Zwängen der Neuen Musik.
Ein Furor
Und so sind übrigens auch seine Opern (abgesehen von seinem frühen und so erfolgreichen «Lenz») keine Handlungsopern. Sie erzählen wenig Story, sondern sind eher Inszenierungen von Gedanken- und Bildmaterial. So auch «Die Hamletmaschine», das Musiktheater von 1983 bis 1986, das auf Heiner Müllers Textmaterial beruht und es mit Musik umsetzt. Dabei habe sich seine Musik quasi von ihm entfernt, schreibt Rihm: Er habe sie «immer weniger gekannt». Aber er ist ihr gefolgt, hat das Abenteuer auf sich genommen. Rihms Musik ist, gerade wenn sie scheinbar bekannte musikalische Muster (wie Fauré) aufgreift, weitaus risikoreicher als so manches, was sich in avantgardistischen Bahnen bewegt. Ein Furor steckt dahinter, der kaum Ruhe zu kennen scheint. Eine Schaffenswut. Deshalb wirkt Rihms Musik kaum je besänftigt, selbst wenn sie sich zur Schönheit wendet. Sie ist, so scheint es, kaum aufzuhalten.
CD
Wolfgang Rihm
Et Lux
(ECM 2015).
Wolfgang Rihm im Opernhaus Zürich
So, 17.1., 11.50 Brunchkonzert
Mo, 18.1., 12.00 Lunchkonzert
Do, 21.1., 19.00 Gesprächskonzert
So, 24.1., 19.00 Premiere: Die Hamletmaschine
Infos unter: www.opernhaus.ch