Klar, der Haifisch mit den Zähnen aus der «Moritat von Mackie Messer» ist weit über klassik-affine Kreise hinaus bekannt. Die Ballade von der «Seeräuber-Jenny » – ebenfalls aus der «Dreigroschenoper » – hat es ähnlich weit gebracht.
Viele haben diese Songs gesungen: Lotte Lenya natürlich, die Muse und zweimalige Ehefrau von Kurt Weill, aber auch Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Marlene Dietrich, Nina Hagen, Marianne Faithfull, Max Raabe oder Ute Lemper. In einer ähnlichen Liga an Bekanntheit spielt allenfalls noch «Surabaya Johnny» aus «Happy End», mit dem Weill und Brecht an den Erfolg der «Dreigroschenoper » anknüpfen wollten – und dabei grandios scheiterten.
Und dann wäre da noch der «Alabama Song» aus der Oper «Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny». Auch davon gibt es Dutzende von Coverversionen. Aber was hat er sonst geschrieben, dieser Kurt Weill, der 1900 geborene jüdische Komponist aus Dessau, der 1933 in die USA flüchtete und dort den Einstieg in die Musical-Welt des Broadways schaffte? Die Komponistenkarriere von Kurt Weill begann ganz klassisch: Klavierstunden, Streichquartette und Lieder, Schüler von Ferruccio Busoni in Berlin, neoklassizistische Orchesterstudien.
Aber das Berlin der 1920er ist die goldene Zeit der Ausschweifung, der knappen Kostüme und des Swing. Das bleibt am 20-jährigen Weill stärker haften als alle akademischen Übungen. Zwar komponiert er noch ein paar brave Opern und Theatermusiken, aber dann begegnet er Bertolt Brecht – und die gemeinsame «Dreigroschenoper» von 1928 trifft den Zeitgeist perfekt.
Bitterböse, bisweilen giftige Satire
Aber Kurt Weill kann mehr. Sogar dann, wenn er mit Brecht zusammenarbeitet. Schon auf der Flucht vor den Nazis 1933 macht er in Paris Station und erhält vom legendären Ballettmeister George Balanchine einen Auftrag. Er entscheidet sich zur Vertonung des Brecht- Texts «Die sieben Todsünden». Noch stärker als in der «Dreigroschenoper » wird hier die Kritik an bürgerlichen Lebens- und Denkweisen ausgekostet, die Satire schlägt um in Sarkasmus, wird beissend, bisweilen giftig.
Und Weill holt hervor, was er in Swinging Berlin gelernt hat: Tango und Fox, und die bürgerliche Doppelmoral ergeht sich in parodistischem Choralgesang. Nicht als Ballett, sondern als Musiktheater bringt der international bekannte Regisseur Olivier Tambosi dieses Stück nun auf die Bühne des Theaters Biel Solothurn. Christiane Boesiger singt die weibliche Hauptrolle, ihr Partner ist mit Christian Manuel Oliveira derselbe, mit dem sie sich schon im Musical «Sweeney Todd» bestens verstand. Und mit Iwan Wassilevski steht ein Dirigent am Pult, der sich unter anderem bei den Musicals der Thunerseespiele höchste Meriten verdient hat.
Start zur zweiten Karriere in den USA
Doch Kurt Weill bleibt nicht in Paris. Über London flieht er weiter nach New York. Als Künstler fällt der Abschied von Europa schwer. Mit «Der Silbersee» komponiert er eine grosse Oper, mit «Der Kuhhandel» sogar eine richtige Operette. Auch seine jüdischen Wurzeln werden ihm bewusster: In «The Eternal Road», einem monumentalen Musiktheater von Max Reinhardt zu einem Text von Franz Werfel, verwendet er jüdische Synagogen-Gesänge und Stilzitate aus Bachs Passionen und Mendelssohns Oratorien.
Ein bisschen «Dreigroschenoper » hat man auch in New York mitgekriegt. Aber niemand hat hier auf Kurt Weill gewartet. Mit seinem Talent des Songschreibens, mit Hilfe von anderen Emigranten, mit seinem Gespür für gesellschaftlich relevante Themen gelingt Kurt Weill aber eine zweite Karriere im US-Musikbusiness. Er schreibt Filmmusik, aber vor allem fasst er Fuss im Musical. Das Antikriegsstück «Johnny Johnson» ist 1936 der erste Achtungserfolg, fast im Jahrestakt geht es weiter mit «Knickerbocker Holiday», «Street Scene» oder «One Touch of Venus », aus dem mit «Speak Low» sogar ein viel gespielter Jazz-Standard stammt.
Psychoanalyse als Musical
Mit diesen Erfolgen etabliert Kurt Weill seine zweite Karriere in den USA. Aus dieser Phase stammt auch «Lady in the Dark», das nun im Theater Basel zu sehen ist. Weill komponierte das Musical 1941 zu einem Buch von Moss Hart und Songtexten von Ira Gershwin. Thema ist das Unterbewusste, das Publikum begleitet Liza in die Psychoanalyse, die damals New Yorks Intellektuelle fast mehr beschäftigte als der Zweite Weltkrieg.
Weill packt reizvolle musikalische Traumsequenzen in seine Songs und schreibt mit «My Ship» einen weiteren Hit. Am Theater Basel wird die Schweizer Sängerin und Schauspielerin Delia Mayer diese Liza verkörpern: Sie ist die Chefredaktorin einer Modezeitschrift, hin- und hergerissen zwischen Titelbildern und Männern. Regie führt Martin G. Berger, der in Basel schon für «La Cage aux Folles» sein Fingerspitzengefühl für gleichermassen schmissiges wie sensibles Musicaltheater bewiesen hat. Und ebenfalls mit von der Partie ist Stefan Kurt, der 2018 in eben jenem «Käfig voller Narren» die Dragqueen «Zaza» unglaublich berührend gespielt hatte. «Lady in the Dark» brachte es auf 467 Aufführungen am Broadway und wurde mit Ginger Rogers in der Hauptrolle 1944 verfilmt.
Kurt Weill war in den USA angekommen. Er nahm die US-Staatsbürgerschaft an, bezog ein Haus in New City, eine Autostunde ausserhalb von New York, und hätte wohl weiterhin fast jedes Jahr ein Musical komponiert, wenn nicht ein Herzinfarkt ihn 1950 mitten aus dem Leben gerissen hätte.
Die sieben Todsünden
Premiere Biel: Fr, 28.10., 19.30, Theater Biel
Premiere Solothurn: Mi, 9.11., 19.30 Theater Solothurn
Lady in the Dark
Premiere: Sa, 29.10., 19.30, Theater Basel