Ganze Nächte hat Uwe Fahrenkrog-Petersen in seinem Studio im Berliner Prenzlauer Berg an seiner Riesenaufgabe gesessen, während seine Frau und die zwei kleinen Töchter nebenan geschlafen haben. Die Kopfhörer auf den Ohren, hat er in der Stille der Grossstadt an Melodien, Klängen, Rhythmen getüftelt – und darüber oft die Zeit vergessen. «Ich habe das schon immer so gemacht», sagt der 59-Jährige bei einem Besuch in seiner Dachwohnung. Im Korridor hängen jede Menge Gold- und Platin-Auszeichnungen für jene Hits, die er unter anderem als Keyboarder und musikalischer Kopf seiner Band Nena komponiert hat. «99 Luftballons» zum Beispiel. Oder «Nur geträumt» und «Irgendwie, irgendwo, irgendwann».
Die Lebensgeschichte von Waris Dirie
Jetzt ist der Musikproduzent gerade dabei, sich einen lange und zäh verfolgten Traum zu erfüllen: sein erstes Musical, das am Theater St. Gallen das Licht der Bühnenwelt erblickt und hier Weltpremiere feiert. «Wüstenblume» erzählt das Leben des Nomadenmädchens Waris Dirie, das vor einer Zwangsheirat aus ihrer Heimat Somalia flüchtet und sich nach London durchschlägt – und als Model entdeckt wird. Auf dem Gipfel ihres Erfolgs macht sie sich auf, als UNO-Botschafterin die am eigenen Leib erlittene Genitalverstümmelung zu bekämpfen.
«Ein Tag in Afrika» heisst die erste Nummer, die Uwe Fahrenkrog-Petersen auf seinem Computer abruft. Zu weichen Streicherklängen geht die Sonne auf, Trommeln fallen ein, ein südafrikanischer Jugendchor singt, ein Helikopter landet. Die Musik untermalt die Szene, in der Waris Dirie mit einem Kamerateam im Schlepptau zurück in ihre Heimat kehrt und sich an Kindheit und Jugend erinnert. Und an den Tag, der noch immer einen tiefen Schatten wirft.
In der Musik verbinden sich lange epische Linien mit jenen Rhythmen, die Fahrenkrog-Petersen bei afrikanischen Musikern in Paris kennengelernt hat. Das ergibt ein stimmungsvolles, buntes, manchmal auch ganz zartes Bild. Er wolle, sagt der Komponist, «auch musikalisch kein Postkarten-Afrika zeichnen, dazu ist die Geschichte zu authenthisch und ernst».
Erfolg und Absturz liegen nahe beieinander
Während Fahrenkrog-Petersen noch in Berlin bei seinen «zwei Mäusen» ist, wie er seine Kinder liebevoll nennt, steht Regisseur Gil Mehmert im Theater St. Gallen mit Darstellern und Tänzern auf einer noch ziemlich leeren Bühne. Mehmert weiss, was er will, denn er führt nicht nur Regie, er hat auch das Buch verfasst und da «schon die Inszenierung hineingeschrieben», sagt er nach der Probe, die er mit freundlicher Disziplin leitet. Eine präzis getaktete Szenenfolge ist zu sehen, in der Erfolg und Absturz nah beieinanderliegen. Denn Dirie, gerade erfolgreich auf den Laufstegen der Welt unterwegs, droht die Ausweisung wegen Scheinehe.
Keine oberflächliche Unterhaltung
Vorne auf der Bühne steht jetzt schmal, aufrecht und sehr gelenkig Kerry Jean, die im Musical Waris Dirie darstellt. Sie hat in Los Angeles studiert und arbeitet seit einigen Jahren im deutschsprachigen Raum. Dass sie eine noch lebende Person spielt, habe sie zu Beginn nervös gemacht, sagt sie. «Dann habe ich Waris Dirie selber kennengelernt, seither bin ich sehr entspannt.»
Schon einmal – bei «Das Wunder von Bern» – hat Gil Mehmert einen Stoff mit ernsten Elementen als Musical adaptiert. Er ist überzeugt, dass das sowohl dem Musical wie seinen Liebhabern guttut: «Man darf diese Form des Theaters mit ihrer Kombination von Schauspiel, opernhaften Elementen, Show, Tanz und Zirkuselementen nicht mit oberflächlicher Unterhaltung verwechseln.»
Wüstenblume
Premiere: Sa, 22.2., 19.00 Theater St. Gallen
5 Fragen an Musikproduzent und Komponist Uwe Fahrenkrog-Petersen
«Über viele Umwege zum Ziel»
kulturtipp: Uwe Fahrenkrog-Petersen, seit wann gehen Sie denn mit einem Musical schwanger?
Uwe Fahrenkrog-Petersen: Oh, schon lange. Ich hatte in den 80er-Jahren mit Nena und ihrer Band vieles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. Da sah ich in Hamburg Andrew Lloyd Webbers Musical «Das Phantom der Oper». Und machte mich auf die Suche nach einem eigenen Stoff.
Wo sind Sie fündig geworden?
Zuerst bei einer Vampirgeschichte, die mir aber Elton John vor der Nase weggeschnappt hat. Dann beim Astrologen Nostradamus, der als Thema gut zur Jahrtausendwende gepasst hätte. Text und Musik waren fertig und ein Regisseur an Bord, als den Investoren das Geld ausging.
Da haben Sie aufgegeben?
Oh nein. Mein nächstes Projekt hiess «Walhalla unlimited», da werden die schon von Wagner zum tönenden Mythos erhobenen Nibelungen mit einer Science-Fiction-Welt konfrontiert.
Lassen Sie uns raten: Auch damit sind Sie gescheitert?
Keineswegs. Aber auf dem Weg nach Walhalla ist mir bei einem meiner Konzerte in Wien Walter Lutschinger begegnet, der Manager von Waris Dirie. Er wollte nur ein paar Songs für Waris, ich aber habe ihm gesagt: Eigentlich ist «Wüstenblume» eine geniale Musical-Geschichte. Bei der Premiere von «Das Wunder von Bern» bin ich dann auf Gil Mehmert aufmerksam geworden. Und als wir einen Produzenten suchten, sagte eine Bekannte: Redet doch einmal mit Werner Signer vom Theater St. Gallen.
Wie ist es denn, mit Waris Dirie zu arbeiten?
Ganz unkompliziert. Sie hat mir in die Augen geschaut und erklärt: Ich glaube, du wirst das gut machen. Nachdem ich ihr das erste Lied geschickt habe, hat sie mich angerufen und gesagt, sie habe geweint.