Zwei Frauen hocken in einem Kinderzimmer einer Gated Community in Johannesburg. Die eine wünscht sich, weit weg zu sein. Sie hält die Langeweile nach der Apartheid nicht mehr aus. In Ägypten stöhnt gleichzeitig ein Professor über seine Erkenntnis, dass Alexandria nicht der beste Ort ist, um Helvetistik zu lehren. Seine Koffer sind bereits gepackt. Nicht weit davon: eine Beiz im tiefen Hinterland der Schweiz. Roger de Cervelats Hände zittern nervös, während er das Buure-Zmorge auftischt. Er könnte das neue Aushängeschild der SVP werden, falls die Wahlen zu seinen Gunsten ausfallen.
Wir schreiben das Jahr 2019: Die kommenden Nationalratswahlen sind schon passé. Nationalrat Roger Köppel hat abgedankt ebenso wie Christoph Blocher vor drei Jahren. Der Wähleranteil der SVP aber liegt erstmals bei 49,94 Prozent.
Und es soll noch extremer kommen im Stück «Sit so guet, s.v.p. – Das Musical», das in der Dampfzentrale Bern zur Aufführung kommt. Es ist eine CoProduktion von Kleintheater Luzern und Schlachthaus Theater Bern und stammt aus der Feder einer Viererbande. Matto Kämpf, Raphael Urweider und Dennis Schwabenland zeichnen für die Texte verantwortlich, Simon Hari alias King Pepe für die Musik.
Eine neue Mauer solls richten
Nachdem das Buure-Zmorge von 2019 verdaut ist, wagen die Macher des Stücks «Sit so guet, s.v.p. – Das Musical» den Zeitsprung ins Jahr 2023. Der glücklose Roger de Cervelat (er verlor die Wahl) hat sich etwas einfallen lassen, um die Macht doch noch an sich zu krallen: Er will die unausschaffbaren Ausländer mit ins Boot holen und die SVP erneuern. Dafür schultert er den Professor aus Alexandria und die Südafrikanerin, die als Touristen in die Schweiz gekommen sind. In dieser Formation erreichen die drei einen Wähleranteil von 99,87 Prozent.
Was wie ein Happy End aussieht, soll aber auch für die SVP-Buure-Zmörgeler keines sein. Die Schweiz hat sich isoliert – Import: null. Export: nichts als Söldner. Das Land fällt in eine neue Steinzeit zurück.
Da hilft nur noch eine Mauer, mit deren Bau im Jura begonnen werden soll. Doch dort stolpern die Parteibrüder und -schwestern über das letzte Nest der Linken, die sich an eben diesem Flecken mit Drogen verschanzt haben und der Volkspartei mit dem Mauerbau zuvorgekommen sind. Zum Glück gibts noch ein Lager voller Hellebarden! Und ein paar Heiratswillige. Denn ein Musical darf ein Happy End haben …
Die Autoren betreten Neuland
«Im zweiten Teil des Abends übertreiben wir es ein bisschen», gibt Co-Autor Dennis Schwabenland zu. Die Idee für das Stück hatte der deutsche Theaterregisseur nach der Abstimmung zur Initiative «Gegen Masseneinwanderung». Er wollte ein SVP-Musical machen, das auf deren Parteiprogramm basiert. Die Idee gefiel den beiden Bernern Raphael Urweider und Matto Kämpf, die bereits zahlreiche Produktionen – meist mit viel Musik – gemeinsam auf die Bühne brachten.
Nun aber sollte es ein Musical werden: Das war Neuland. «Die Politik der SVP funktioniert über Emotionen, weshalb es dafür kein passenderes Format gibt», sagt Raphael Urweider. Denn musikalisch könne man perfekt mit den Emotionen der Zuschauer spielen. Dafür biete sich Techno genauso an wie Pop. «Die Worte in einem Lied sind wie in Zuckerwatte verpackt», sagt er.
Anders gesagt: Gesungene Aussagen wirken harmloser als gesprochene. So kann man in einem Musical weiter gehen als im Sprechtheater, also mehr wagen. «Man kann auch mal politisch unkorrekt sein und die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten», sagt Urweider. Ausserdem müsse man mit einer leicht verständlichen Sprache arbeiten, was dem Parteiprogramm der SVP gerecht werde, das ebenfalls auf einfachen Antworten beruhe.
SVP-Satire und Musicalparodie zugleich
Allerdings spricht auch ein ganz pragmatischer Grund für die gewählte Form dieser Aufführungsart: «Mit einem Musical können mehr Zuschauer erreicht werden als mit einem klassischen Theater», sagt Urweider. «Wir versuchen, mit Popmusik Theater zu machen, das einen politischen Inhalt hat.» Das Stück «Sit so guet, s.v.p. – Das Musical» ist denn SVP-Satire und Musicalparodie zugleich. Es richtet sich nicht nur an Theateraffine, sondern ebenso an Begeisterte von Schweizer Popmusik und an Fans des Musikers King Pepe. Es spricht politisch Interessierte und Secondos an. Vielleicht sogar ein bisschen SVP-Vertreter.
Als Dreiergespann in der Komfortzone
Matto Kämpf, Raphael Urweider und Dennis Schwabenland haben das Stück zu dritt verfasst, was man sich bildhaft vorstellen darf: Der eine auf dem Sofa, der Zweite am Computer und der Dritte rauchend am Fenster – und jeder Satz ein Konsens von allen dreien. «So kommen die besten Texte zustande», ist sich Urweider sicher. Denn sie alle hätten ihre Stärken, er selber sei ein guter Lyriker, Schwabenland sehe beim Schreiben bereits die Inszenierung vor sich, und Kämpf sei ihr Mann fürs Absurde.
Mit ihrem Stück wollen die Theatermacher aufzeigen, was geschehen könnte, wenn es in der Politik so weiterginge wie in den letzten Jahren. Wenn immer mehr Parteien Allmachtsfantasien hätten und der Populismus auf der rechten Seite noch stärker zunähme.
Sit so guet, s.v.p. – Das Musical
Premiere: Do, 22.6., 20.30
Dampfzentrale Bern
www.schlachthaus.ch