In der St. Galler Lokremise herrscht an diesem Morgen Anfang April eine munter-aufgekratzte Stimmung. Die Darsteller sind da, der Chor, Textautor Michael Kunze und Komponist Dario Farina. Sie geben Kostproben eines neuen Musicals zum Besten, während auf einer Leinwand Bühnenbilder eingeblendet werden. Das neue Musical «Don Camillo & Peppone» wird Ende April in St. Gallen mit Regisseur Andreas Gergen seine Uraufführung erleben.
Der Handlung liegt eine Sammlung von Kurzgeschichten des Schriftstellers Giovannino Guareschi zugrunde, die im deutschsprachigen Raum 1952 durch den Film mit Fernandel und Gino Cervi bekannt geworden sind: In der Provinz der italienischen Nachkriegszeit treffen mit dem Pfarrer Don Camillo und dem Kommunisten Peppone zwei Menschen mit ihren verschiedenen Weltanschauungen hart aufeinander. Im Alltag aber bleibt ihnen nichts anders übrig, als sich zusammenzufinden.
Dass das Theater St. Gallen zu einer Musical-Hochburg geworden ist, hat Tradition. Hier entstanden seit 2002 Inszenierungen von «Miss Saigon», «Les Misérables», «Chicago», «Flashdance» und «Anything Goes». Hier fand die europäische Erstaufführung von «Rebecca» statt – und die Weltpremieren von «Der Graf von Monte Christo», «Moses» und zuletzt «Artus». Aktuell auf dem Spielplan findet sich noch Leonard Bernsteins unverwüstliche «West Side Story», im Orchestergraben wirkt Chefdirigent Otto Tausk und unterstreicht damit, wie ernst man diese Kunstform in der Ostschweiz nimmt.
Teuer, aber einträglich
«Das Musical ist wichtig für St. Gallen», bestätigt Peter Heilker, der als Operndirektor auch für Operette und Musical verantwortlich zeichnet. «Mit dem Musical erreichen wir eine Direktheit beim Publikum, die früher eher die Operetten gebracht haben», sagt er und fügt hinzu: «Es ist aber nicht etwa die ungeliebte Schwester der Oper. Wir entwickeln Musicals auf hohem Niveau und mit beträchtlichem Aufwand. Wobei wir die ganze Bandbreite zeigen – von der ‹West Side Story› über Cole Porters ‹Anything Goes› bis hin zu Uraufführungen.»
Musicals zu machen, das ist teuer, aber einträglich, wenn das Publikum sie goutiert. Oft tut es das. Viele Vorstellungen sind ausverkauft, oft müssen Zusatzvorstellungen angehängt werden, was für ein Dreispartenhaus keine ganz einfache Sache ist. Denn zur selben Zeit beanspruchen noch Schauspiel, Tanz und Oper die Bühne des grossen Hauses.
Verantwortlich für den wirtschaftlichen Aspekt ist Werner Signer, geschäftsführender Direktor des Theaters St. Gallen, den man als den Vater des Musicalwunders bezeichnen kann. Gezielt hat er ein Beziehungsnetz aufgebaut und damit Voraussetzungen geschaffen, dass solche Grossvorhaben gestemmt werden können. Man hat gesehen, dass durch die Verlagerung von einem Abo- zu einem Spontanpublikum das Musiktheater gefordert ist und dass neben der Operette eine neue Form dieses Musiktheaters populärer wird. Statt wie andernorts das Musical privaten Theaterunternehmen zu überlassen, hat St. Gallen begonnen, es gezielt zu pflegen. Allerdings immer in den Proportionen des Spielplans. Das bedeutet: Pro Saison sind fünf Opern und zwei Unterhaltungsproduktionen geplant. Dabei wechseln zwei Musicals mit einem Musical und einer Operette ab.
Quersubventioniert
Wirtschaftlich sind die Regeln klar: «Das Musical muss mehr einbringen, als es kostet», sagt Signer. Das Verhältnis liegt im Schnitt bei 70 zu 30. Das heisst: Dank den Musicals lassen sich anspruchsvolle Opern wie Erich Wolfgang Korngolds «Die tote Stadt» oder George Benjamins «Written on Skin» finanzieren, sagt Signer. Weil eine Musical-Uraufführung mehr Aufwand und ein grösseres Risiko mit sich bringt, finanziert Signer die Stückentwicklungskosten über die Stiftung für Musik und Theater und weitere private Sponsoren.
So ist St. Gallen unter Textdichtern wie Michael Kunze oder Komponisten wie dem Amerikaner Frank Wildhorn zum Begriff geworden. Wildhorn hat hier zuletzt vor zwei Jahren «Artus» aus der Taufe gehoben. Und auf die Frage, warum er das nicht am Broadway tut, Folgendes geantwortet: «Es hängt von den Personen ab, wo ich tätig bin. Das heisst von Theaterdirektor Werner Signer. Ausserdem ist das Theater schön. Ich bekomme ein grosses Orchester, es gibt einen Chor. Suchen Sie das mal am Broadway.»
Zusammen mit Wien
Später wird «Don Camillo & Peppone» nach Wien transferiert. «Ob es zurückkommt, hängt vom St. Galler Publikum ab», sagt Werner Signer. Diesmal wird er sich Ehre und Risiko mit Wien teilen. «Wir haben schon öfter zusammengearbeitet», sagt Christian Struppeck, Musical-Intendant der koproduzierenden Vereinigten Bühnen Wiens. «Aber nie auf diese Art und Weise. Wir sprechen vieles miteinander ab, und das geht gut – weil das Theater St. Gallen auf hohem Niveau arbeitet.»
Don Camillo & Peppone
Premiere: Sa, 30.4., 19.30
Theater St. Gallen