«Warum wollen Sie Schweizer werden?», fragt der Richter und wirft einen strengen Blick über seinen oberen Brillenrand. Die Frage ist an das deutsche Ärztepaar Starke gerichtet, das sich um die Schweizer Staatsbürgerschaft bewirbt. Die beiden stehen gemeinsam mit dem italienischen Fliessbandarbeiter Grimolli und der Balletttänzerin Milena Vakulic, die jugoslawische Wurzeln hat, in Reih und Glied und erdulden die strenge Befragung. Von oben herab blickt der Richter, umringt von zwei Beamten, auf die Bewerber.
Das Wetter zwingt die Truppe in den Proberaum
Im Kulturzentrum KultiX im thurgauischen Kreuzlingen probt die Equipe des See-Burgtheaters gerade die vorletzte Szene des Musicals «Die Schweizermacher». Wegen des schlechten Wetters musste die Truppe kurzerhand von der Bühne direkt am Ufer des Bodensees in einen Proberaum ausweichen. Requisiten säumen den Rand des turnhallengrossen Raums: Velo, Bürotisch, rotes Kabeltelefon, Sofa. Die Raummitte ist leer, am Boden klebt der Grundriss des würfelförmigen Bühnenbaus. Die Fenster stehen offen, ab und zu durchbricht Regenrauschen die Dialoge. Am Klavier lässt der musikalische Leiter Philippe Frey seine Finger flink über die Tasten gleiten. Direkt vor der Bühnenmitte sitzt Regisseur Leopold Huber, beobachtet mit dem aufgeschlagenen Skript in seiner Hand das Schauspiel auf der improvisierten Bühne.
Einbürgerungswilligen auf den Zahn fühlen
Die Geschichte der «Schweizermacher» ist aus Rolf Lyssys Filmklassiker von 1978 mit Emil Steinberger und Walo Lüond bekannt: Sie dreht sich um zwei Fremdenpolizisten, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite der bünzlige Max Bodmer, der durch Einbürgerungen den Verlust von Schweizer Werten befürchtet. Auf der anderen Seite sein neuer Kollege, der entdeckungsfreudige Moritz Fischer. Dem jungen Beamten widerstreben Bodmers Überzeugungen, er traut sich aber nicht, seine Meinung zu sagen. Die beiden fühlen den vier Einbürgerungswilligen auf den Zahn und prüfen sie auf ihre Schweizertauglichkeit. Während des Einbürgerungsprozesses bleibt sich nur die in der Schweiz geborene Milena selbst treu. Die übrigen Kandidaten versuchen sich anzupassen, so gut es geht, lernen Schweizerdeutsch, servieren den Beamten Fondue oder hissen die eidgenössische Flagge.
Als sich Milena und Moritz näherkommen, wird einiges in Frage gestellt: Was macht Schweizersein aus? Wo fühlt man sich zu Hause? Dort, wo man den Pass besitzt? Adrian Burri, der Moritz Fischer spielt, sagt: «Schlussendlich geht es nicht ums Wo, sondern bei wem man sich zu Hause fühlt.» Das Stück vermittle viele kleinere Botschaften, so Marisa Jüni, die Milena Vakulic verkörpert: «den Mut haben, auf das eigene Herz zu hören, ohne Vorurteile auf die Mitmenschen zugehen und sich seine eigene Meinung bilden». Die Handlung des Musicals lehnt sich stark an das Skript des Filmklassikers an. Auch die Kleider und Requisiten stammen aus den 1970ern. Den Film könne man aber trotzdem kaum mit dem Musical vergleichen, meint der gebürtige Luzerner Adrian Burri. Zwar seien beide gespickt mit Ironie. Das Musical mache das emotionsgeladene Thema der Immigration aber mit überspitzter Mimik, Tanz und viel Live-Musik noch etwas leichter verdaulich als die Filmsatire.
Weil sich der Einbürgerungsprozess in den letzten 40 Jahren kaum zum Positiven verändert hat, ist das Stück noch immer aktuell, erklärt Burri. Die Frage, ob mit dem Musical Klischees zementiert werden, verneint die aus Bern stammende Jüni: «Gerade weil wir alles so übertrieben darstellen, ist klar, dass wir Vorurteile auf die Schippe nehmen.» Etwa wenn Bodmer während eines Besuchs bei den Grimollis seinem Amtskollegen misstrauisch zuraunt: «Bi dene gits sicher jede Abig Pasta zum Znacht.»
Idyllische Kulisse am Bodensee
Geplant sind 20 Aufführungen. Das Bühnenbild ist ein quadratförmiger Wohnblock: Dreht er sich, sieht das Publikum mal in die ordentliche Wohnung des Psychiaters, mal in die Küche der weniger gut betuchten Italiener, mal ins Büro der Fremdenpolizei oder in den Tanzsaal der Balletttänzerin. Im Hintergrund ist stets der sanfte Wellenschlag des Wassers zu hören.
Draussen dunkelt der Himmel, es regnet noch immer, die Proben sind in vollem Gang. Mittlerweile hat sich der 16-köpfige Chor über die ganze Breite des geklebten Bühnenrandes aufgestellt. Sie geben sich die Hand, den Blick gerade ausgerichtet, die Brust stolz geöffnet. «Findsch emol das Heimatgfühl uf dere wilde Wält, de chasch stolz si uf dich», singen sie das Finale zur eingängigen Klaviermelodie. Ein stimmiger Aufruf an das zukünftige Musical-Publikum, sich zu fragen, was Heimat für sie selbst bedeutet.
Die Schweizermacher
Premiere: Do, 15.7., 20.30 See-Burgtheater Kreuzlingen TG
www.see-burgtheater.ch