Jo Siffert war ein Held. Der Freiburger Autorennfahrer mit dem blonden Schnäuzchen war ein charmanter Tausendsassa, der alle um den Finger zu wickeln wusste: Geldgeber, junge Ladys oder Journalisten bis hin zum gesellschaftskritischen Autor Niklaus Meienberg, der ihn bewunderte und eine Reportage über ihn schrieb. Auch Künstler wie Jean Tinguely waren von Jo Siffert fasziniert. Der Motorsportler starb am 24. Oktober 1971 bei einem Unfall auf der Formel-1-Strecke von Brands Hatch in England mit nur 35 Jahren. Unumstritten ist, dass der junge Mann zwar eine Persönlichkeit war, ein Teufelskerl, der keine Risiken scheute, und verlor. Aber ähnlich wie beim US-amerikanischen Schauspieler James Dean mag der frühe Tod zu einer gesellschaftlichen Überhöhung beigetragen haben.
Jo Siffert und seine Zeit von den 60er- bis zu den 80er-Jahren stehen im Mittelpunkt der neuen Fotoausstellung des Museums im Bellpark in der Luzerner Vorortsgemeinde Kriens.
Fotos wie Gemälde
Die Schwarz-Weiss-Aufnahmen und Farbfotos belegen, wie unschuldig der Automobilrennsport damals war. Diese Amateuraufnahmen dokumentieren einen Rennzirkus, der eher an eine Dorfchilbi erinnerte als an das Millionengeschäft, das es heute ist. Die Ästhetik der damaligen Szenenbilder wirkt wie ein unstrukturiertes abstraktes Gemälde – Variationen von kleinen und grossen Farbflächen, Schriftzüge aller Art, unkontrollierte Bewegungen. Ein buntes Chaos.
Da sieht man Rennfahrer, Mechaniker, Zigaretten rauchende Fans rund um die Boliden stehen, als bewunderten sie exotische Tiere. Die Enthusiasten freuten sich offenkundig an den stinkenden Motoren und am lauten Gedröhne. Fast immer dabei sind die «Boxenluder», junge Frauen, die sich im Spektakel sonnten und diese Männerwelt wie Nummerngirls auflockerten – politisch unkorrekt gewiss, aber dem Zeitgeist entsprechend.
Wagen von Marc Surer
Neben den Fotos finden sich in der Krienser Ausstellung Memorabilien wie abgefahrene Rennreifen oder ein Wagen von Marc Surer, dem nunmehr 64-jährigen Baselbieter Automobilsportler, der längst nicht mehr fährt, aber noch immer als TV-Kommentator tätig ist.
Der Krienser Museumsdirektor Hilar Stadler stellte die Ausstellung aus dem Fundus des Luzerner Sammlers Thomas Horat zusammen, der ein Motorsportarchiv besitzt. Die Dokumente zeigen den Rennsport in seiner ganzen Breite: Von den Formel-1-Rennen, die damals in der Schweiz schon verboten waren, bis hin zu den populären Bergrennen, wo Amateurpiloten aufgemotzte Strassenwagen auf Hochtouren trieben.
Faszination Technik
Selbst Stars wie Jo Siffert beschränkten sich nicht auf Einsätze der Formel 1, sondern nahmen jede Gelegenheit wahr, sich in einem Wettbewerb zu messen. Siffert liebte etwa Langstreckenrennen wie den 24-Stunden-Kurs von Daytona in Florida oder die 1000-Kilometer-Strecke des deutschen Nürburgrings. Hatte er gerade keinen Wagen, lieh er sich einen aus. Und als das Geld einmal wirklich knapp wurde, schloss er sich dem damaligen Rob-Walker-Racing-Team an, das einem reichen Schotten gehörte.
«Damals herrschte eine unglaubliche Technik-Faszination», sagt Hilar Stadler und verweist auf die «seltsame Ästhetik» mancher Bilder. Die Amateurfotografen wählten ihre Bildausschnitte nach keinen künstlerischen Kriterien aus, wichtig waren ihnen die technischen Details, die vom erfinderischen Genius hinter den Boliden zeugten.
Amateurfilme
Diese unreflektierte Begeisterung erscheint heutigen Betrachtern fremd. 40, 50 Jahre später ist diese Zeit für den Besucher sehr weit weg. Gerade darin liegt jedoch der Reiz dieser Ausstellung. Dies belegen auch die Filmaufnahmen, die im Kellergeschoss gezeigt werden, zum Beispiel vom heute eingestellten Eigenthal-Bergrennen, das in Kriens startete. Ein Amateurfilmer stellte sich neben einen Strassenabschnitt und filmte stundenlang die Renault-Modelle, die Porsches, Jaguars und Volvos, die den Berg hinauf kurvten. Der Streifen erinnert an die Endlosfilmschlaufen von Andy Warhol.
Der 50-jährige Luzerner Fotoliebhaber Thomas Horat ist durch den Dokumentarfilm «Jo Siffert – Live Fast, Die Young» von Men Lareida 2005 auf Siffert gekommen. Seither sammelt er die Aufnahmen wie ein Besessener und besitzt eine Kollektion von 75 000 Bildern. Mittlerweile werden ihm Bilder oder ganze Sammlungen angeboten.
Horat ist überzeugt, dass die heutige Formel 1 mit dem damaligen Rennsport wenig zu tun hat: «Da waren Langstrecken wie Le Mans das Geschäft, die Formel 1 war weniger wichtig», was auch Sifferts Begeisterung für diese Rennen erklärt. Wer nun glaubt, Horat sei ein Bolidenfreak, täuscht sich, ihn scheint vor allem die damalige Zeit zu interessieren: «Man kann glücklich sein ohne Rennwagen.» Diese Erkenntnis war unter den Enthusiasten zu Sifferts Zeiten wenig verbreitet.
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So, 23.8.–So, 8.11. Museum im Bellpark Kriens LU
Die Edition Patrick Frey gibt zur Ausstellung den Bildband «Gasoline and Magic» heraus.