Ein Lastwagenfahrer, ein haariger Mann mit freundlichen Augen fuhr und träumte auf der Landstrasse. Er war gerade in einem Wohngebiet angekommen, da streikte sein Fahrzeug. Der Mann hielt an und kroch unter das schwere Gefährt, um den Fehler zu finden. Öl tropfte auf den Asphalt. Eine junge Frau mit zwei Kindern ging an ihm vorbei, er sah gerade ihre Beine, Schnürstiefel der Frau und die Sandalen der Kinder. Die Kinder zerrten an der Mutter. Sie wollten sehen, wer darunter liegt. Die Mutter mahnte die Kinder, sie habe keine Zeit. Der Lastwagenfahrer dachte, ihre Stimme klingt zwar genervt, aber das Rauchige darin gefällt mir. Er kroch unter dem Lastwagen hervor, um zu sehen, zu wem die Stimme gehörte. Er stand aufrecht, rieb sich die Hände an der Brust und grüsste, erst die Frau, dann die Kinder. Sein Hemd war ölverschmiert. Die Frau musterte ihn. Er fand sie ziemlich süss, fast ein Mädchen mit toupierten Haaren und kurzem Rock.
Sie schaute ihn an und fand, dass er gemütlich aussehe, und Hintergedanken bedrängten sie. Sie fragte, ob er bei ihr einen Kaffee trinken wolle, sie habe nämlich Lust auf einen Kaffee. Der Lastwagenfahrer dachte sich, wird wohl hoffentlich nicht nur an mir liegen, dass das, was sie sagt, zweideutig klingen soll, und er sagte, ich komme gern auf einen Kaffee, wenn Ihnen meine Aufmachung nicht zu schmutzig ist. «Ist ja nur Öl», sagte sie leichtfertig, «Dreck von der Arbeit kann gar nicht schlecht sein.»
Der Lastwagenfahrer, ermutigt durch ihre Reden, ging schwungvoll neben ihr her, er achtete darauf, dass sie seinen kleinen Gehfehler nicht bemerkte. Er schleifte ein wenig das rechte Bein, kam von einem Unfall. Die junge Frau aber, ganz in Gedanken, sah zu ihm auf, denn er war einiges grösser als sie, und dachte, er wirkt vertrauenswürdig.
Die Kinder sassen bereits auf seinem Schoss, er hatte den Kaffee getrunken, und ihm fiel auf, dass die Frau ständig auf ihre Uhr schaute. Das gefiel ihm nicht. Den Kindern gefiel es aber sehr, auf seinem Schoss zu schaukeln, er brummte wie ein Lastwagen, bremste wie ein Lastwagen, beschleunigte und überholte. Dabei hob er seine Stimme, und sie klang wie eine Sirene.
Da sagte die Frau: «Wenn ich jetzt zwei, drei Stündchen weggehe, könnte ich die Kinder bei Ihnen lassen?» Aha, dachte der Mann, so läuft der Hase, und er war enttäuscht, hatte er ihre Zweideutigkeit doch völlig falsch eingeschätzt. Sie ist ein Luder, dachte er sich, und hat zwei so liebe Kinder, aber ich werde auf sie aufpassen.
Die Frau wiederum dachte sich, während sie sich schminkte, nämlich vor den Augen des Lastwagenfahrers sich puderte, sich die Lippen grell machte, an den Augen herummalte, dieser Mann, dem kann ich trauen, irgendwie erinnert er mich an den Pfarrer, den ich als Kind in Religion hatte.
Der Lastwagenfahrer, obwohl er überhaupt keine Zeit hatte, verschenkte sich an die Kinder, spielte mit ihnen und tat, was ein guter Vater tut. Er suchte nach Gegenständen, die auf einen Ehemann schliessen könnten, fand aber keine. Er sagte fragend zu den Kindern: «Wo ist euer Papa.» Aber sie schauten nur ungläubig. Anzunehmen, dass ihnen keiner in Erinnerung war.
Der Lastwagenfahrer, ein sentimentaler Mensch mit gescheiterten Beziehungen, einer verpfuschten Ehe, malte sich aus, wie es sein könnte, käme die Frau nach Hause und würde anstelle der Kinder auf seinem Schoss sitzen. Er kochte Milchreis, weil ihn das an seine eigene Kindheit erinnerte, das war auf dem Bauernhof, als seine Mama in ihrer weissen Schürze am Herd gestanden war, und alles nach Zimt roch, wie im Morgenland. Ausserdem waren es die einzigen Zutaten, die er fand, die nach Mahlzeit aussahen, Geld war da nicht viel in diesem Haus. Das Mädchen fand auf dem hintersten Regal noch ein Glas Brombeermarmelade. Hoffentlich nicht schimmlig.
In diesen Stunden lag die junge Frau mit einem Mann im Bett. Für ihn war sie nur ein Abenteuer, ihre kleinen Brüste gefielen ihm, und dass sie wie ein Knabe aussah. Es war nur ein Abenteuer für ihn, und er dachte bei sich, ausprobieren, bis ich endlich weiss, wohin ich gehöre. Er war in Wirklichkeit verklemmt und erlaubte sich nicht, an junge Männer zu denken. Wenn er die Augen schloss und über die Hüften der jungen Frau strich, fühlte es sich an, als sei sie ein Kerl. Was dem Liebhaber gar nicht gefiel, war, dass sie viel von ihren beiden Kindern sprach und ihn offensichtlich als Vater aufreissen wollte. Nicht mit mir, dachte er sich. Als er dann ihren BH, obwohl sie ja wirklich keinen gebraucht hätte, bei ihren Knospen, an der Stuhllehne hängen sah, wurde ihm flau im Magen und er rollte sich aus dem Bett. Er wollte ihr sagen, dass es aus sei, ihr Liebesverhältnis nicht mehr weiter bestehen könnte, weil, ja weil, was sollte er für einen Grund nennen.
Die Frau sagte, «bleib, ich hab noch eine halbe Stunde.»
«Für uns», stammelte er, «kann es keine Zukunft geben, ich kann nicht zwei fremde Kinder aufziehen und will das auch nicht, verstehst du. Ich brauche einen klaren Schnitt. Ich möchte überhaupt nie Kinder haben, auch keine eigenen. Mein Leben ist ohne Struktur, und jetzt will ich das ändern. Ich habe mich in der Abendschule eingeschrieben und will alles abbrechen, was mich an mein altes Leben erinnert. Verstehst du?»
«Nein», sagte sie, «das verstehe ich nicht, ich kann nicht verstehen, dass man etwas Schönes nicht mehr will, und unsere Beziehung ist doch etwas Schönes. Du musst mich nicht heiraten, und meine Kinder sind meine Sache, ganz allein meine Sache.» Sie wusste, dass sie unglaubwürdig klang.
«Du sollst mich nicht mehr besuchen, mich nicht anrufen, mir keine SMS mehr schreiben, kapiert, denn das alles belastet mich und macht mich unfähig für Neues.»
Die Frau versuchte, nicht zu weinen, trotz alledem schossen ihr die Tränen und sie wischte sie mit dem Handrücken weg. «Versager», sagte sie, als sie ihr federleichtes Kleid über den Kopf zog, in ihre Schnürstiefel schlüpfte, die Schuhbändel offen liess, fast darüber stolperte, sich die Haare zurückstrich, und sich verbot, auch nur einen Blick zurückzuwerfen.
Monika Helfer
Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Bregenzerwald, lebt als Schriftstellerin mit ihrer Familie in Vorarlberg. Für ihre Romane, Erzählungen und Kinderbücher hat sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Mit ihrem Roman «Schau mich an, wenn ich mit dir rede» (2017) war die Autorin für den Deutschen Buchpreis nominiert. Kürzlich ist ihr neuer Roman «Die Bagage» im Hanser Verlag erschienen.