Greta: Ich mag Batman.
Opa: Ja, ich weiss. Aber wir müssen trotzdem gleich aussteigen.
Batman kann alles.
Sicher.
Und er ist extrem mächtig, und er kann sich alles leisten. Gian sagt, dass sein Vater sagt, dass Batman ungefähr der Einzige auf dem Planeten ist, der keinen Anwalt braucht, obwohl er es sich leisten könnte. Und sein Vater muss es schliesslich wissen, denn er ist Anwalt.
Von Batman?
Nein. Sag ich doch: Batman braucht keinen. Batman ist das Beste, das denen passieren kann, die wenig haben. Gian sagt, dass sein Vater sagt, dass Batman irgendwie auch Anwalt ist.
Ach ja?
Ja, für Menschenrechte und so Sachen.
Für Menschenrechte?
Ja, für internationale sogar. Damit rettet er welche, die richtig in der Sch … na, die in Schwierigkeiten stecken.
Sieh einer an. Das wusste ich nicht.
Das ist so eine Art Superwaffe, sagt Gian, sagt sein Vater. Und Gian sagt, sie hätten auch bei sich zu Hause so internationale Menschenrechte. – Krieg ich auch welche?
Was? Vorsicht, ein Auto!
Na, Menschenrechte, wie Gian sie hat. Ich mag auch welche haben.
Aber du hast doch welche, wir alle haben Menschenrechte.
Wo haben wir die denn?
In der Keksdose. In Europa zumindest macht man das so.
Echt?
Nein, natürlich nicht. Aber wir haben sie eben. Schon eine Weile.
Wir haben einfach so Menschenrechte?
Na ja, wir haben sie sehr teuer bezahlen müssen.
Sind sie denn so selten?
Wir sind gleich da. Hast du die Einkaufsliste?
Waren sie nun schwer zu kriegen oder nicht?
Schon. Das hat mit Geschichte zu tun.
Du hast gesagt, dass sie früher teuer waren. Aber jetzt haben alle welche.
Ja und nein. Wenn das so einfach wäre.
Wie kann etwas wertvoll sein, das jeder hat?
Es ist eine Frage der Wertschätzung.
Was ist Wertschätzung?
… und es hat wirklich lange gedauert, bis wir sie hatten.
Wieso? Gab es eine Lieferverzögerung? Mamma sagt, das passiert jetzt immer häufiger. Erst war es wegen Covid so und nun wegen der Weltlage.
Was redest du da? Natürlich nicht. Die kann man sich nicht liefern lassen.
Sind sie weniger wertvoll geworden wegen der Inflation?
Was soll das denn sein?
Opa, bist du von gestern? Das nennt man so, wenn es von etwas zu viel gibt. – Was ist Wertschätzung?
Gib mir die Einkaufsliste.
Mamma sagt, wenn es von etwas zu viel gibt, hat es weniger Wert, und Gian sagt, sein Vater sagt, dass er das bestätigen kann. Das Wort dafür ist Infaltion. Die kann man sogar messen, sagt Mamma.
Inflation meinst du. Die hat dann aber noch ganz andere Folgen.
Warum schüttelst du den Kopf? Habe ich was falsch gemacht?
Ich frage mich gerade, ob ich etwas falsch gemacht habe.
Du hast nichts falsch gemacht.
Danke, Liebes. Aber ich frage mich trotzdem, was ich bei deiner Mutter falsch gemacht habe, dass so etwas dabei herauskommt. Wie redet ihr denn zu Hause?
Warum?
Menschenrechte sind etwas Besonderes, Greta. Sie sind wichtig. Wir brauchen sie. Du, ich, deine Mamma, Gian und sein Vater. Alle. Sogar Batman. Alle sollten sie haben.
Vorhin hast du gesagt, alle hätten sie.
Ja und nein. Auch das habe ich gesagt. Nicht alle, nicht immer. Sie werden gern übersehen oder über den Haufen geworfen.
Warum werden sie denn über den Haufen geworfen, wenn sie so wichtig sind?
Das Problem ist: Sie passen nicht allen in den Kram. Sonst müsste Gians Vater ja nicht dafür kämpfen, oder? Auch Batman nicht.
Kann Batman die Menschenrechte sehen?
Da würd ich drauf wetten.
Brauche ich eine Superkraft, um sie zu sehen?
Quatsch. Jeder kann sie sehen.
Ich nicht. Ich hab bei uns überall nachgeschaut. Sogar auf dem Dachboden. Mamma versteckt da manchmal Sachen; Osterhasen und Geburtstagsgeschenke. Da ist nichts. Und vielleicht hat auch Gian keine, vielleicht gibt er bloss an. – Und falls doch: Bist du sicher, dass die nicht doch in der Keksdose sind? Ich durfte sie noch nie aufmachen, aber ich weiss genau, wo sie steht.
Vergiss die Keksdose. Wir haben die Menschenrechte ausgehandelt; jetzt gibt es sie.
Aber wo kann ich sie finden?
Hier. Jetzt. Ich kann dir gleich zwei nennen. Schau mal, erstens kannst du ungestraft solchen Unsinn reden beziehungsweise fragen, und zweitens darf ich dir nicht den Hals umdrehen deswegen und auch deiner Mutter nicht – womit habe ich das eigentlich verdient?
Was?
Nichts, nichts. – Was ich sagen will: Du könntest solchen Unsinn sogar in einer Zeitung schreiben.
Mamma sagt, dass du der Einzige auf der Welt bist, der noch Zeitung liest.
Und ich werde der Letzte sein. Die ganz wenigen Zeitungen, die diesen Namen noch verdienen, werde ich weiterhin lesen.
Du hast mir immer noch nicht gesagt, was Wertschätzung ist, und ich werde es Mamma erzählen.
Was?
Dass du mir Angst machst. Du willst mir den Hals umdrehen.
Und du fragst immer schwierige Sachen.
Kann ich ein Eis haben?
Nein. Du hattest gerade eines. Euer Ehren, zur Beweisführung: Du hast sogar noch Schokolade am Mundwinkel. Wisch das mal ab.
Ich werde es Mamma erzählen.
Das wirst du nicht. Das, was du da gerade versuchst, ist Erpressung. Sonst sag ich es Batman. Für Erpressung muss man auch schon mal ins Gefängnis. Und deine Mutter legt noch einen obendrauf, wenn ich es ihr erzähle: Sie wird dich dafür zusätzlich für zehn Jahre auf eine einsame Insel verbannen – ohne Kekse. Und ohne Schokoladeneis!
Mit Robinson Crusoe?
Ich sagte: eine einsame Insel.
Das wird sie nie machen.
Oh doch! Weil ich ihr nämlich androhen werde, dass der Samstag mit meiner Lieblingsenkelin gestrichen ist, wenn die weiterhin diesen neoliberalen Quark nachplappert, den sie weiss ich woher hat. Als ob man die Menschenrechte messen könnte, als ob Menschrechte eine Schuhgrösse hätten oder man damit an die Börse könnte. Die Menschenrechte unterliegen auch keiner Inflation. Können sie nicht. Aus. Basta.
Nein?
Nein, sie haben immer denselben hohen Wert.
Gibt es dafür auch ein Wort?
Das ist Wertschätzung.
Zur Person
Die Schriftstellerin Monica Cantieni (* 1965) hat unter anderem für SRF das Online-Angebot der Abteilung Kultur aufgebaut und bis 2017 geleitet. Für die für SRF entwickelte Filmplattform «frischfilm» gewann sie den deutschen Grimme Online Award. Ihr Roman «Grünschnabel» war für den Schweizer Buchpreis 2011 nominiert und ist in sechs Sprachen übersetzt worden.
Ihr erstes Jugendbuch «Zwischen Leben» erschien im Herbst 2023 bei da bux und wird zurzeit in Bangla und Marathi übersetzt. Die Autorin ist zusammen mit Bettina Spoerri Initiantin der Lesungsreihe «Mensch sein – Being Human: Autor*innen gegen Hass». Monica Cantieni lebt im aargauischen Wettingen.