Ob in den Bergen oder am Stadtrand: Kuhglocken sorgen für stetiges Gebimmel, das meist kaum wahrgenommen wird. Das verwundert nicht, klingen die Glocken doch nach Chaos statt Rhythmus, produzieren eher Lärm als Musik. Lärm, der den Bauern hilft, das Vieh aufzuspüren – auch wenn dieses heute bequem mit GPS-Sendern geortet werden könnte. Trotz des Fortschritts sind die majestätischen Glocken nur schwer aus dem Schweizer Postkartenidyll wegzudenken.
Per Knopfdruck wird die Glocke zum Instrument
Auch in der Musik tauchen die Schellen auf. Etwa als Satz gestimmter Kuhglocken oder Teil des Schlagzeugs. Für Künstler Alain Bellet bedeuten sie primär eine jahrhundertealte Tradition, der er neues Leben einhaucht. Die Idee, Kuhglocken zu modifizieren und auf Befehl zum Klingen zu bringen, beschäftigt den Grafikdesigner seit Jahren. «Glocken werden kontrovers diskutiert und sind spannend, weil sie zwischen Lärm und Bauerntradition schwingen», sagt der 44-Jährige, der an der Kantonalen Kunstschule Lausanne (ECAL) Professor für «Media & Interaction Design» ist.
2016 bot sich am Internationalen Bollwerkfestival Fribourg mit dem Thema «Lebendige Traditionen» die perfekte Gelegenheit: Bellet baute zehn echte Kuhglocken um, sodass er den Klöppel im Inneren fernsteuern konnte. Melodien liessen sich damit noch keine spielen, doch der Wahlzürcher nutzte die Zeit zum Experimentieren. «Die Idee, Objekte zu nutzen und zum Klingen zu bringen, ist alt, doch das Modifizieren ist heute simpler und öffnet viele Möglichkeiten für experimentelle Musiker», sagt Bellet.
Auch an der ETH wird zu den sogenannten «Smart Musical Instruments» geforscht. Gerade Musiker aus dem Feld der elektronischen Musik modifizieren schon längst Instrumente oder setzen Alltagsgegenstände zur Klangerzeugung ein. Der Franzose Jacques etwa loopt auf der Bühne Geräusche von Velos und Küchengeräten. Multiinstrumentalist Pyrit bastelt derweil mit Sensoren und steuert seine Instrumente über Gesten.
Bei Alain Bellets Performance auf dem Hof Puureheimet nahe der Buchenegg lässt sich den Kuhglocken mithilfe von Computer und Controllern «eine Art Melodie» entlocken. Einfach haben die Musiker es aber nicht: Die Glockentöne sind weder in Länge noch Höhe manipulierbar. Das fordert selbst Experimentierfreudige wie den Pianisten Ephrem Lüchinger und den Perkussionisten Julian Sartorius. Beide waren für Bellet Wunschkandidaten, um Stücke beizusteuern. Und beide waren sofort interessiert am ungewöhnlichen Projekt. In der Umsetzung aber wählen sie verschiedene Wege: Sartorius will live mit einem elektrischen Drumpad improvisieren, während Lüchinger im Vorfeld ein Stück komponiert.
Und die Kühe? Die haben bereits in Fribourg stoisch weitergegrast. Bellet hat Respekt vor den Tieren; sorgt lieber aus der Distanz für die spannende Verschiebung vom Chaos zur Melodie. Dennoch sind sie unverzichtbar Teil des Konzepts, verändern etwa das Klangerlebnis, wenn sie ihren Kopf zum Äsen senken. Und werden damit für einmal sicher nicht überhört.
Artist Talk mit Alain Bellet
Di, 7.8., 18.30 Kosmos Zürich
Performance
Sa, 11.8., 17.30 Puureheimet Stallikon ZH (Alain Bellet & Ephrem Lüchinger)
So, 12.8., 17.30 Puureheimet Stallikon ZH (Alain Bellet & Julian Sartorius)
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