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26.07.2013
Anfangs wähnt sich die Leserschaft im morbiden Universum der Krimilady Ingrid Noll: Wie bei der Bestsellerautorin steht bei Angelika Waldis eine ältere Dame im Mittelpunkt, die sich mit unkonventionellen Methoden selbst zu helfen weiss. Das ganze Eheleben der Protagonistin Luisa mit dem «Egosaurier» Alfred war geprägt von Verzicht und Enttäuschung. Nun hat sie genug und plant Alfreds Abgang: Mit Gift ausgerüstet, macht sie sich auf nach Mailand, wohin sich der untreue Gatte verzogen hat. Hier will sie ihm ein tödlich scharf gewürztes Curry servieren und das «dunkle Kneiftier ihres Lebens» ins Jenseits befördern. Und damit nicht genug. Zwei weitere Männer sollen dran glauben: Ihr Schwiegersohn Roman, der ihrer Tochter Mirjam mit seinem Stumpfsinn jegliche Lebensfreude geraubt hat, und Doktor Hausammann, den sie für die schwere Behinderung von Tochter Maja verantwortlich macht.
Übermütiger Begleiter
Doch natürlich geht der Plan nicht so auf wie gedacht. Im Zug trifft sie auf einen jüngeren Mitreisenden, den sie wegen seines flackrigen Blicks Flack nennt. Bald stellt sich heraus, dass Flack aus der Psychiatrie ausgebrochen ist. Das hindert Luisa nicht daran, sich mit ihm zusammen auf die Weiterreise zu begeben. Seine seltsamen Angewohnheiten nimmt sie mit Humor zur Kenntnis und lässt sich nach und nach anstecken von seinem Über- und «gelegentlichen Untermut». «Was so ein bisschen Blödsinn ausmacht, es kitzelt sie von Kopf bis Fuss. Sie ist immer die vernünftige Luisa gewesen, hat funktioniert, hat geleistet, was gefordert war.» Doch damit ist nun Schluss: Luisa gefällt sich in der Rolle der Übermütigen.
Zwei Unangepasste
Angelika Waldis’ mit viel schwarzem Humor gespickter Roman ist mehr als nur eine irrwitzige Reise zweier Unangepasster. Nach und nach kommen Erinnerungen zum Vorschein, die ein oft leidvolles Familienleben offenlegen. Wie bereits im Roman «Einer zu viel» lotet sie psychologische Nuancen im Familiengefüge aus. Die 73-jährige Autorin, die im zürcherischen Gockhausen lebt und mit ihrem Mann das Jugendmagazin «Spick» gegründet hat, ist eine Meisterin der leisen Töne. Mit schlichten, klaren Sätzen und ungewohnten Bildern gelingt es ihr, Atmosphäre zu schaffen. So beschreibt sie etwa Luisas Tick, Stilblüten aus Zeitungen zu sammeln, mit: «Wenn sie die Sätze liest, liebt sie das Leben, weil es so ungewollt seltsam ist. Streichle mich, sagt das Leben, und liegt vor ihr wie ein zuckender Hund mit zu vielen Füssen.»
Humor und Freude am Absurden dominieren in Waldis’ Werk. Im Alter mag sich ihre Heldin keine Vorschriften mehr machen lassen. Der überraschend versöhnliche Schluss ist darum fast ein bisschen zu zahm – mit Luisas Schabernack und deren Lust, aus der Rolle zu fallen, hat sie schliesslich die Leserschaft angesteckt.
Angelika Waldis
«Aufräumen»
180 Seiten
(Europa Verlag Zürich 2013).
Vier Fragen an Angelika Waldis
«Das Heer der resignierten, lichtlosen Grau- bis Weisshaarigen hat mich inspiriert»
kulturtipp: Ihre Hauptfigur erinnert in den Anfängen manchmal an die älteren Damen mit Sinn fürs Morbide aus Romanen von Ingrid Noll. Wie haben Sie sich zur Hauptfigur Luisa inspirieren lassen?
Angelika Waldis: Inspiriert hat mich das Heer der angepassten, resignierten, lichtlosen Grau- bis Weisshaarigen. Die Hauptfigur Luisa bricht aus, nimmt ihr Leben im Alter noch einmal in die Hand, mit Wut und mit Mut: Sie spürt Rache- und andere Gelüste, macht das, was sie denkt. In diesem Auf-und Ausbruch wird ihre Vergangenheit nochmals abgespielt: Was für ein intensives, berührendes, hundsnormales Leben – wer hat das eigentlich nicht?
Luisa entdeckt im Alter die Lust am Übermut. Welche Facetten des Älterwerdens wollten Sie in Ihrem Roman aufzeigen?
Ich wollte nicht unbedingt Facetten des Älterwerdens aufzeigen, aber Facetten dessen, was man Schicksal nennt. Ich wollte zeigen, wie Glück und Unglück gleichermassen unerwartet zuschlagen, wie man sich selber betrügen und entlarven kann.
Ihr Roman endet überraschend versöhnlich. Luisa verfällt in ihr altes Muster. Entwickeln Ihre Figuren manchmal eine Eigendynamik?
Ich wusste von Anfang an, wie die Geschichte keinesfalls endet. Die Protagonistin läuft mir nicht davon. Weil ich sie im Lauf des Schreibens besser kennenlerne, kann ich ihr Schritte in unerwartete Richtungen gestatten: Ich weiss, dass sie zuverlässig zu unserem gemeinsamen Schluss zurückkehrt. Beim Aufzeichnen einer Geschichte spielt natürlich auch der Zufall «Sprache» eifrig mit: Angenommen, Protagonist schnitzt Herz in Rinde von Linde, dieser Reim missfällt dem Autor, er ersetzt Linde durch Eiche. Angenommen, es kommt ein Gewitter, Eichen – heisst es – soll man weichen, Blitz schlägt ein, Protagonist tot, Autor hat neue Ausgangslage. So einfach ist das. Übrigens ist Luisa am versöhnlichen Ende des Buches nicht wieder die alte, sondern eine neue Alte.
Welche Stoffe reizen Sie allgemein für Ihr Schreiben?
Zum Schreiben reizt mich, was sich nicht sagen lässt: Das Sichtbarmachen einer versteckten Empfindung, das kurze Anleuchten von Schattendingen, das Einfangen kleiner Vergänglichkeiten, das schnelle Gestreiftwerden durchs Glück. Alles hier und jetzt bei Frau und Mann und Kind. Keine Fantasy, nur erfundene Wahrheiten.
(bc, das Interview wurde per Mail geführt)
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