Fredrik Rydman hat etwas Unprätentiöses und Sympathisches. Wie er in seinen Trainingshosen und im T-Shirt freundlich dasitzt, entspricht der 39-jährige Choreograf aus Stockholm dem Klischeebild des offenen, unkomplizierten Schweden. Doch es steckt eher Professionalität dahinter, dass er sich nicht so schnell aus der Reserve locken lässt. Im Programmheft zu seiner jüngsten Produktion «Swan Lake Reloaded» hat er sich mit zerknittertem Hemd, in modisch zerrissenen Jeanshosen und mit Drei-Tage-Bart ablichten lassen: Ein attraktiver ewiger Jüngling mit dunkelblondem Haar.
Er tanzt seit seinem zehnten Lebensjahr und steigt noch heute auf die Bühne, wenn einer seiner Tänzer kurzfristig ausfällt. «Allerdings spüre ich das nachher schmerzhaft in allen Gliedern», sagt er. Denn seit etwa zwei Jahren arbeitet er als Choreograf, das Tanzen überlässt er Fitteren.
Fitness, Techno, Pop
Rydman ist kein Mann gekünstelter Posen, sondern hat ein ziemlich bodenständiges und lockeres Verhältnis zum Leben im Allgemeinen und zur Kunst im Speziellen. Schwede durch und durch, lebt und produziert er in Stockholm. Hier fühlt er sich daheim, zusammen mit seiner Familie, mit Frau und zwei kleinen Kindern. Neben Choreografie-Projekten für Pop-Events und Musicals, führt er einen Fitnessclub mit Tanzkursen. Er ist sich nicht zu schade, dort auch mal die Wände zu streichen oder Kraftmaschinen zu bestellen.
Berühmt geworden ist er in Schweden mit seiner 1997 gegründeten Bounce Streetdance Company. Mit ihr ist er durch Europa getourt. Vor zwei Jahren löste sich Bounce auf, 13 Jahre waren genug.
Im Ensemble hatten sich die besten Streetdancer Schwedens zusammengefunden, die von Breaking über Locking bis hin zu Stepptanz alle urbanen Tanzstile beherrschten. Im Internet gibt es einen Youtube-Beitrag von 2010 mit Rydman zu sehen, sein letzter öffentlicher Auftritt vor einem begeisterten Publikum: Benke, so sein Übername, als grosser Star, der zwischen Ballett und Streetdance pendelt und seine Fans zu Begeisterungsstürmen hinreisst.
«Fun» statt Mathematik
In seiner Kindheit und Jugend hatten es ihm vor allem die akrobatischen Kunststücke in Lindy Hop und Rock ’n’ Roll angetan. Sich mit anderen in Tanz-Wettbewerben zu messen, hatte für ihn mehr mit Sport als Tanz zu tun. «Tanzen war unter Jungs so cool wie Fussball oder Skifahren», meint der Choreograf dazu. Zur professionellen Ballettausbildung kam er eher zufällig durch eine gute Freundin, die an der Royal Academy in Stockholm studierte. Er beschloss, sein Studium der Physik und Mathematik für ein Jahr zu unterbrechen und ausschliesslich zu tanzen.
Rydman blieb an der Academy und beim Tanz als Profession. «Akademische Tanzausbildung und Streetdance liefen immer parallel, morgens war ich in der Ballettklasse und abends übte ich Break Dance», erzählt Rydman. Für ihn war das «Fun» und ganz unverkrampft. Er wusste, dass seine Technik für eine klassische Hauptrolle wie den Siegfried in «Schwanensee» nicht ausreichte. Immerhin tanzte er in diesem Stück als Gruppenmitglied des Cullberg-Balletts in einer Choreografie von Mats Ek, die in ihrer Modernität die klassischen Grenzen sprengte.
Elektrosound
Mit seinem «Swan Lake Reloaded» wagt Rydman nochmals etwas anderes. Ballett-Puristen werden ihm da nicht mehr folgen wollen. Hoch- und Popkultur vermengen sich zu originaler sowie gesampelter Musik Peter Tschaikowskys aus «Schwanensee» und neu komponiertem Elektrosound. «Ich mag Tschaikowksy sehr, aber um das Böse, um die Gewalt darzustellen, braucht es andere, härtere Musik», ist der Choreograf überzeugt. Auf einer Shopping-Tour in London hatte er die zündende Idee. In einem Schaufenster sah er weisse Vintage-Pelze, wie sie auch Prostituierte tragen. Da wusste er: Die Schwäne würden in seiner Inszenierung Drogenabhängige sein, der böse Zauberer Rotbart ein Dealer und Zuhälter aus dem Milieu. Trotz dieser realistischen Lesart bleibt das Ballett ein Märchen, anrührend, aber mit Witz erzählt. Der Erfolg scheint Rydman und seinem Ensemble recht zu geben: Von Zürich geht es weiter nach Hamburg, London und Paris. Und das nächste Projekt steht schon an. Es wird eine moderne, getanzte Inszenierung von Shakespeares «Macbeth» am Stockholmer Stadttheater sein.
«Swan Lake Reloaded»
Im Dezember 2011 feierte «Swan Lake Reloaded» in Stockholm Premiere. Die Tanzshow verbindet Ballett und Streetdance, Hochkultur und Entertainment. Der Choreograf Fredrik Rydman (Bild) hat die Geschichte um Liebe und Macht zwischen Romanze und Realismus im Drogen-und Prostituiertenmilieu angesiedelt. Auch musikalisch kommt es zu einem Remix: Originale Teile von Peter Tschaikowskys Ballettmusik sowie deren elektronische Bearbeitung und neu komponierte Songs.
Swan Lake Reloaded
Di, 23.4.–So, 12.5.
Maag Halle Zürich
Tänzerisches Frühlingserwachen in der Schweiz
Das erste Wochenende im Mai steht im Zeichen des Tanzes: Aus ganz Europa kommen Tanzcompagnien in die Schweiz – von St. Gallen bis Genf, von Poschiavo bis Basel. In Genf findet beispielsweise eine Performance auf einem Löffelbagger statt. Im Tessin tanzen Performer in Telefonkabinen und im Zürcher Hauptbahnhof lebt der Volkstanz auf. Zahlreiche renommierte Choreografen sind mit aktuellen Werken zu Gast: Im Schiffbau Zürich ist etwa das zeitgenössische Tanzstück «The Show Must Go On» mit Songs aus 30 Jahren Popgeschichte von Choreograf Jérôme Bel in einer speziellen Zürcher Version zu sehen. Das Publikum kann sich in Schnupperkursen oder Bällen selbst im Tanz üben. So treffen sich in Bern Paare zum romantischen Slowdance auf dem Zeitglockenturm, und in Fribourg wird ein Disco-Abend auf der Strasse veranstaltet. (bc)
Zürich tanzt
Fr, 3.5.–So, 5.5.
www.zuerichtanzt.ch
Das Tanzfest
Fr, 3.5.–So, 5.5.
www.dastanzfest.ch