Er muss stundenlang an einem Bild gearbeitet haben – mit unendlicher Geduld. Jede Einzelheit in seinen Werken hat er sorgfältig ausgemalt und detailliert dargestellt. Zum Teil von blossem Auge nicht sichtbar: «Mit feinsten Pinselstrichen sind nur unter der Lupe winzige Kühe auszumachen. Nie ist etwas nur angedeutet – alles ist fein säuberlich ausgestaltet.» So präsentieren sich die Bilder von Gottlieb Feurer (1875–1912) von Unterwasser im Urteil seiner Biografin Rosa Maria Fäh. Sie hat dem Bauernmaler mit einem schönen Bildband ein Denkmal gesetzt. Sein Leben illustriert ein kurzes Stück Zeitgeschichte in diesem Tal.
Wer heute in der Gemeinde Unterwasser in den Ortsteil Nesselhalde hinaufmarschiert, findet linkerhand der Strasse das Wohnhaus von Feurer, in dem er aufwuchs und sein ganzes Leben verbrachte. Ein typisches altes Toggenburgerhaus mit dem Winterholz unter der Treppe, die zur Eingangstür hinaufführt. Die aktuellen Besitzer bezeugen dem Besucher mit einem Schweizerfähnli, dass hier, in diesem heutigen Einfamilienhausquartier, alles seine Ordnung hat – mehr oder weniger.
Feurers markante Beobachtungsgabe
Genauso wie zu Gotttlieb Feurers Zeiten. Er war von schwächlicher Gesundheit, konnte bei der Arbeit auf dem elterlichen Bauernhof kaum mittun, den er mit seinem Bruder bewirtschaftete. So wird Feurer auf die Idee gekommen sein, die «Bödeli» der Milchgefässe zu bemalen – ebenso wie ganze Bilder zu gestalten.
Der Pinsel lag ihm mehr als die Mistgabel. Feurer zeichne-te sich durch eine markante Beobachtungsgabe aus, die ihm seine Detailversessenheit erst erlaubte. Über sein persönliches Leben ist sonst wenig bekannt. Er war nicht verheiratet, entfernte Verwandte haben nur noch Erinnerungen vom Hörensagen an ihn. Gottlieb Feurer wurde lediglich 37 Jahre alt und starb an einer Knochentuberkulose im Spital Wattwil.
Skepsis bei den Professoren
Sein Lieblingssujet waren die Kühe. Ein unverfängliches Thema, das ihm erlaubte, die harsche soziale Wirklichkeit vor 100 Jahren im Toggenburg auszublenden. Bei Feurer wie bei fast allen Bauernmalern des 19. Jahrhunderts ist die Welt im Lot, auch wenn Not und Armut in dem engen Tal herrschten. Seine Ästhetik erscheint dem Betrachter heute geradezu als Gegenwelt zu einer Gesellschaft, die streng hierarchisch und religiös geprägt war, in Unterwasser protestantisch.
Die einheimische Lehrerin Rosa Maria Fäh entdeckte den heute weitgehend vergessenen Gottlieb Feurer neu und entschloss sich, ihre Lizenziatsarbeit über ihn zu schreiben. An der Universität Zürich war man von der Idee zuerst wenig begeistert. Zwei Professoren lehnten ihren Vorschlag ab: «Zu volkskundlich» lautete das Verdikt oder «in der Bauernmalerei kenne ich mich nicht aus». Eine deutsche Hochschullehrerin erkannte jedoch das Potenzial hinter dieser Idee und stimmte zu. Sie besitzt ein Ferienhaus im Toggenburg und wusste daher genauer, um was es ging.
Mit Beigeschmack des Volkstümlichen
Die ältesten Bilder der klassischen Bauernmalerei stammen gemäss Fäh aus den 1830er- Jahren. Sie waren stets dekorativ und entwickelten sich aus dem Bedürfnis, das eigene Haus und die Möbel zu schmücken. Die Motive beschränkten sich auf den bäuerlichen Alttag in seinen schönsten Facetten. Ein zentrales Motiv war stets die Kuh, denn ihr kam in der Ostschweiz eine zentrale wirtschaftliche Bedeutung zu. Nach und nach entwickelte sich die Qualität der Bauernmalerei; einzelne Exponenten erkannten, dass damit Geld zu verdienen war, allen voran die Künstlerin Babeli Giezendanner, deren Werke auch Gottlieb Feurer beeinflussten.
Die Appenzeller und Toggenburger Bauernmalerei hat heute den Beigeschmack des Volkstümlichen oder gar des Kitsch. Dem war nicht immer so. Noch zu Lebzeiten Feurers war in Basel eine «Ausstellung für Volkskunst und Volkskunde» zu sehen mit Objekten aus dem Kulturraum rund um den Säntis.
Drei Fragen an Rosa Maria Fäh
«Zu biedermeierlich für Kunsthistoriker»
kulturtipp: Die Menschen im Toggenburg waren arm. Warum blendeten Maler wie Gottlieb Feurer in ihren Bildern die soziale Realität aus?
Rosa Maria Fäh: Das wollten die potenziellen Käufer, die Bauern, so. Sie suchten eine heile Welt in diesen Darstellungen, alles andere war unerwünscht. Feurers Kunst zeigt tatsächlich vieles nicht.
Warum kämpft die Toggenburger Malerei bei manchen Kunsthistorikern um Anerkennung?
Fäh: Sie erscheint ihnen zu biedermeierlich. Sie akzeptieren nur das angeblich Ursprüngliche, das scheinbar wirklich Naive. Aber das ist bei Feurer nur in der frühesten Schaffensphase zu finden.
Weshalb mussten Sie viele Bilder des Künstlers suchen?
Fäh: Viele Werke sind nicht gezeichnet, es fehlen auch die Jahresangaben. Dazu kam, dass die Toggenburger Besitzer solcher Bilder eher zurückhaltend sind und mit ihren Schätzen nicht prahlen.
Buch
Rosa Maria Fäh
«Gottlieb Feurer (1875–1912)»
185 Seiten
(Chronos 2016).