Herzschmerz in bedeutungsschweren Worten ist in Gedichtversen verbreitet: Jürg Halter hingegen tritt dem Leiden mit Ironie entgegen. In seinem Prosagedicht «Tragischer Monolog für eine Schauspielerin oder einen Schauspieler» wettert er mit seinem «zugeschütteten Herzen» und droht ihm mit Liebesentzug. Trockener Humor ist dem 33-jährigen Performer, Dichter und Rapper Kutti MC alias Jürg Halter eigen. Der gemächliche Berner Singsang, den er bei seinen Performance-Lesungen mit stoischer Miene auf der Bühne anstimmt, täuscht allerdings. Denn der
Inhalt hat es in sich: Blitzgescheit und poetisch, hintersinnig und gesellschaftskritisch, schräg, witzig oder tieftraurig kommen seine Texte daher.
In seinem neuen Gedichtband zeigt sich der wortgewandte Berner einmal mehr von unterschiedlichen Seiten: Die leise Ironie über die Unzulänglichkeiten des Lebens ist nur eine davon. So vermag er etwa im Gedicht «Erfüllung» das Liebesglück in wenige Worte zu verdichten: «Seit wir einander verstehen, / bleibt nichts mehr zu sagen. / Unsere im Zeitraffer / explodierenden Herzen.»
Im Zentrum seines Bands steht nebst den immerwährenden Schriftstellerthemen wie der Liebe und dem eigenen Schreiben der vereinsamte Mensch in der schnelllebigen Welt: «O, mein digitalisierter Horizont, / sag mir, wer ich bin und empfiehl mir, / was ich zu konsumieren habe, / um zu werden, wer ich eigentlich wäre.» Jürg Halter bildet unsere Welt ab, wie sie ist und wie sie sein könnte, verpackt die Sehnsüchte des modernen Menschen in Poesie. «Erst wenn alle Stecker gezogen worden sind, wird der Strom wieder in uns fliessen», sinniert er im Prosagedicht «Die Zukunft» – ein «Fragment eines Romans, 2121 zu veröffentlichen».
Nicht alle Texte berühren gleichermassen im schmalen Gedichtbändchen, aber viele laden ein zum kurzen Innehalten, bevor das Leben weiterrauscht. Und oft glänzt der Poet mit überraschenden Bildern und unerwarteten Pointen: Allerdings entfalten die Gedichte ihre volle Wirkung erst, wenn der Autor sie live vorträgt. Denn auf der Bühne setzt Jürg Halter seine Lyrik mit Klängen und Geräuschen um, oft in Zusammenarbeit mit anderen Künstlern.
Einen eigenen Zauber versprüht er zum Beispiel jeweils im improvisierten Klang-Poesie-Zusammenspiel mit dem Schlagzeuger und Klangkünstler Julian Sartorius – und bringt dabei den Rhythmus und die Sprachmelodie seiner Gedichte vollends zum Klingen.
Ein lyrisches Hörbuch wäre als Ergänzung zum Gedichtband also fast zwingend. Schliesslich sagte der rappende Berner letztes Jahr in einem Interview mit der «Schweizer Familie» doch selbst: «Ich bin nicht der typische Dichter, der bloss im Stillen agiert. Poesie und Leben sind eins.» Der originelle Berner schlägt zwar durchaus leise Töne an, aber diese kommen ausserhalb des stillen Kämmerleins besonders gut zur Geltung.
Dichtender Rapper
Jürg Halter wurde 1980 in Bern geboren. Nach einem Studium an der Hochschule der Künste in Bern hat er sich als Dichter, Performer und Mundart-Rapper einen Namen gemacht: Nebst zwei Gedichtbänden und einem Kettengedicht mit dem japanischen Dichter Shuntaro Tanikawa hat er unter dem Namen Kutti MC mehrere Alben veröffentlicht. Soeben ist sein fünftes Album «Rebellion Alltag» erschienen. Jürg Halter arbeitet im Literatur-, Musik- und Theaterbereich mit Künstlern zusammen wie Stephan Eicher, Sophie Hunger, Bettina Oberli, Endo Anaconda, Fetttes Brot und Kuno Lauener. Mit seiner Lyrik ist er an Literaturfestivals in Europa, Russland, den USA und Afrika aufgetreten. Der Poet lebt in Bern.
Buch
Jürg Halter
«Wir fürchten das Ende der Musik»
72 Seiten
(Wallstein 2014)
CD
Kutti MC
Rebellion Alltag
(Sophie Records 2014)