Italien
Walter Grond: Mein Tagtraum Triest (Haymon 2012)
In Triest spricht man italienisch, isst österreichisch und trinkt slowenisch. Derart verkürzt lässt sich der besondere Charme dieser Stadt umschreiben, die von verschiedenen Kulturen, Sprachen und Temperamenten geprägt ist und stets ein Randdasein fristete. Der Österreicher Walter Grond erzählt eine Familiengeschichte mit habsburgischem Tiefgang. Von alten Österreichern, die der verlorenen Stadt am Meer bis heute nachtrauern, während ihre Nachkommen ein italienisches Zwicken in sich spüren. Ein schönes Buch über Lebensfreude, Melancholie und Sehnsuchtsorte. (fn)
Andrea de Carlo: Sie und Er (Diogenes 2012)
Der italienische Autor Andrea de Carlo entführt mit einer Amour Fou vom Trubel in Mailand nach Ligurien. Clare muss sich zwischen dem langweiligen Anwalt Stefano und ihrer neuen Bekanntschaft, dem vordergründig arroganten, aber attraktiven Bestseller-Autor Daniel, entscheiden. Gewohnheit oder Leidenschaft? Ein knisterndes Spiel gegen alle Konventionen zwischen Anziehung und Abstossung beginnt. Hinter der Soap-ähnlichen Handlung verstecken sich eine intelligente Beziehungsanalyse und philosophische Betrachtungen zur Liebe. (bc)
Margherita Oggero: Der Duft von Erde und Zitronen (DAV-Verlag 2012)
Vom Leben und Überleben in Italien: Die Turiner Schriftstellerin Margherita Oggero erzählt die Geschichte einer 13-Jährigen, die aus Angst vor einem Vergeltungsschlag der Mafia bei einer fremden Tante im Norden Italiens untertauchen muss. Zahlreiche Dramen haben sich zuvor in der vermeintlich schönen Welt des warmen Südens abgespielt. Oggero erzählt sie nach und nach und gibt so einen tiefen Einblick in das komplexe Netzwerk einer süditalienischen Grossfamilie. Eine ergreifende Familiensaga. (sch)
Italo Calvino: Herr Palomar (dtv 2000)
In seinem letzten Werk von 1985 stellt der grosse italienische Autor Italo Calvino einen genauen Beobachter ins Zentrum. Herr Palomar betrachtet und beschreibt die Welt um ihn herum in all ihren Details: Eine einzelne Welle am Strand, ein sich paarendes Schildkrötenpaar, die Stadt und ihre Menschen. In kurzen Episoden berichtet er von seinen Beobachtungen und lässt diese in Betrachtungen über das Ich münden. Ein durch und durch meditatives Buch, das mit grosser Leichtigkeit von der Komplexität der Welt erzählt. (bc)
Schweiz
Silvio Blatter: Vier Tage im August (LangenMüller 2013)
Leo glaubte, die ganze Geschichte von damals verarbeitet zu haben. Doch als er in Ligurien zufällig Paul begegnet, werden schlecht verheilte Wunden wieder aufgerissen. Zurück in der Schweiz, muss er alte Rechnungen begleichen, was nicht nur Paul zu spüren bekommt. Sondern auch Ivo, Elmar, René vom einstmals so erfolgreichen «Vierer mit Steuerfrau». Kam es damals zum katastrophalen Showdown am Rotsee, so wird Leo nun am Zürichsee aktiv. Ein sommerlich flirrender Psychothriller über Liebe, Verrat und die fatale Kraft aufgestauter, massloser Wut. (fn)
Michèle Minelli: Die Ruhelosen (Aufbau Verlag 2012)
Autorin Michèle Minelli führt die spannenden Stränge ihrer Familiengeschichte zusammen. Sie nimmt den Leser nach Ungarn mit, in die Slowakei oder nach Norditalien. Nach und nach landen die «Auswärtigen» am Zürichsee, wo sie eine neue Heimat finden. Minelli berichtet mit viel Witz von ihren Vorfahren, ohne deren Schicksal zu verklären. Ihre Geschichten spiegeln auch die europäische Entwicklung im letzten Jahrhundert. Die politische Aussage: Jeder Schweizer hat seine Wurzeln irgendwo im Ausland. (hü)
Michael Fehr: Kurz vor der Erlösung (Der gesunde Menschenversand 2013)
Spoken Word zum Nachlesen: Der Berner Autor Michael Fehr (31) legt sein Debüt vor. Es ist ein einziges Prosagedicht in 17 Sätzen, die eine eigensinnige Heilsgeschichte ergeben. In einer Schriftsprache, in die sich mundartliche Einsprengsel mischen, in einer rhythmischen Klangsprache mit Reihungen und Wiederholungen, Lautmalereien und witzigen Wortschöpfungen. Der sehbehinderte Fehr hat seinen Text zuerst diktiert, das Gesprochene wurde transkribiert. (hau)
Markus Werner: Bis bald (Residenz Verlag 1992)
Vom Thurgauer Autor Markus Werner ist länger nichts Neues mehr erschienen. Um sich die Wartezeit zu verkürzen, lohnt sich der Roman «Bis bald» von 1992, der von ebendiesem Warten handelt. Im Mittelpunkt steht der Denkmalpfleger Lorenz Hatt, der auf einer Reise einen Herzinfarkt erleidet. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz erfährt er, dass er ein neues Herz braucht. Beim Warten auf einen Spender werden Erinnerungen und Gedanken zu den grossen Lebensfragen wach. Ein kluges, berührendes Buch in Werners eigener Lakonie. (bc)
Nordamerika
T.C. Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist (Hanser 2012)
Die nördlichen Santa-Barbara-Inseln vor der südkalifornischen Küste sind ein Naturparadies. Bis heute fast unbewohnt, waren sie doch mehrfach Ziel versuchter und gescheiterter (land-)wirtschaftlicher Ausbeutung. T.C. Boyle stellt Anacapa (Bild) und Santa Cruz ins Zentrum eines gross angelegten Romans über unterschiedliche Standpunkte engagierter Naturschützer. Der Spezialist für poetisch inszenierte Apokalypsen zieht dabei alle Fäden seiner Erzählkunst. Ein Sommerbuch dennoch, das nach Meer riecht, nach Wind und grenzenloser Freiheit. (fn)
Richard Yates: Eine gute Schule (DVA 2012)
Der nahezu vergessene US-Autor Richard Yates schreibt im neu herausgekommenen autobiografischen Campus-Roman «Eine gute Schule» von den Missständen an einem verarmten College kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Der Autor verwickelt die Intrigen der Studenten raffiniert mit den Beziehungen unter dem Lehrpersonal, die sogar zu einem versuchten Suizid führen. Das Buch ist auch ein Entwicklungsroman, denn der eingeschüchterte Protagonist wandelt sich zum selbstbewussten College-Absolventen. (hü)
Ian Hamilton: Die wilden Bestien von Wuhan (Kein & Aber 2013)
Angepriesen wird die furchtlose kanadisch-chinesische Ermittlerin Ava Lee aus Toronto als weiblicher James Bond: Auch wenn sie ihre Fälle mit weniger Gewalt löst, mit Agent 007 gemeinsam hat sie etwa das Flair für schöne Frauen. In ihrem dritten Fall folgt sie im Auftrag eines chinesischen Kunstsammlers einer Fälscherbande. Bis zum fulminanten Schluss jettet sie – immer top durchgestylt – in der Weltgeschichte herum: Die Spuren führen sie von Europa nach New York. (bc)
David Foster Wallace: Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich (Mare 2012)
«Eine Schifffahrt, die ist lustig», heisst es im Volkslied. Zu dieser Erkenntnis gelangte auch David Foster Wallace in seiner Reportage von 1997. Im Auftrag des Magazins «Harper’s» absolvierte er eine Karibik-Kreuzfahrt. Als «lustig» empfand sie der gefeierte Autor, aber in erschreckender Weise: Sein gnadenlos entlarvender Bericht zeigt die Abgründe, die sich hinter den weissen Schiffswänden verbergen. Eine amüsante Lektüre – gerade für Kreuzfahrttouristen. (fn)
Nordeuropa
Kristin Steinsdottir: Im Schatten des Vogels (C.H. Beck 2011)
Der verlassene Osten Islands (Bild) dient als Kulisse dieser Schicksalsgeschichte. Die junge Palina Jonsdottir berichtet als Ich-Erzählerin von den seelischen Nöten einer Frau Ende des 19. Jahrhunderts. So ist Palina in eine enge, oft schmerzhafte Beziehung mit ihrem Vater verwickelt. Und sie leidet unter den Zwängen einer konservativen Gesellschaft, denen sie sich nicht entziehen kann. Dieser Roman lebt von den spektakulären Bildern eines abgeschiedenen Lebens ohne falsche Romantik. (hü)
Håkan Nesser: Am Abend des Mordes (btb 2012)
Der schwedische Autor Håkan Nesser ist ein Garant für anspruchsvolle Krimis: Der fünfte Fall des Inspektors Gunnar Barbarotti dreht sich um das Verschwinden eines Elektrikers vor fünf Jahren. Er hatte mit einer Frau zusammengelebt, die in den 80ern wegen Mordes an ihrem ersten Ehemann angeklagt war. Barbarotti beginnt, in der Vergangenheit zu graben. Da der Inspektor vor kurzem seine eigene Frau verloren hat, ist er nebst der Aufklärung auch mit seiner Trauerarbeit beschäftigt. (bc)
Jonas T. Bengtsson: Wie keiner sonst (Kein & Aber 2013)
Ein modernes Märchen hat der 37-jährige dänische Autor Jonas T. Bengtsson geschrieben. In seinem neuen Roman schlägt sich ein Vater mit seinem kleinen Sohn durchs Leben – ohne Freunde und ohne festen Wohnsitz. Als Erzähler tritt der kleine Junge auf, der nicht zur Schule geht und das Lesen und Schreiben von seinem Vater lernt. Die fantasievolle Geschichte schildert nicht nur den Alltag am Rande der Gesellschaft, sondern auch die bedingungslose Liebe zwischen Vater und Sohn. (sch)
Kurt Tucholsky: Schloss Gripsholm (rororo 2001)
«Eine Sommergeschichte» – Der Untertitel macht diesen Klassiker von 1931 zum zeitlosen Ferienbuch. Wobei die Ferienreise des Ich-Erzählers und seiner Geliebten ins sommerliche Schweden durch eine dunkle Episode getrübt wird. Insgesamt aber hat Kurt Tucholsky, der damals selbst in Schweden lebte, den Wunsch seines Verlegers nach einer «leichten Liebesgeschichte» bravourös erfüllt. Und die Stimmung der noch unbeschwerten Zwischenkriegszeit in keckem Tonfall eingefangen. (fn)
Osteuropa
Viktor Pelewin: Tolstois Albtraum (Luchterhand 2013)
Lustvoll beschäftigt sich Viktor Pelewin mit der literarischen Tradition seiner Heimat. Sein Roman beginnt als parodistisch überzeichnete Biografie des Grafen T., unschwer erkennbar als Leo Tolstoi. Bald verstrickt sich dieser in verrückte Abenteuer von Moskau (Bild) bis St. Petersburg. Satirisch beleuchtet Pelewin den Literaturbetrieb und das russische Zeitgeschehen. Kein leichter Stoff, da der Autor zwischen mehreren Ebenen wechselt, aber erfrischend anders. (bc)
Mircea Cartarescu: Der Körper (Zsolnay 2011)
Es ist etwas vom Wuchtigsten und Gewichtigsten, was gegenwärtig nicht nur in der rumänischen Literatur geboten wird. Autor Cartarescu kreiert auf 600 Seiten aus einem erinnerten Bukarest ein grossartiges Panoptikum. Er hat es bildkräftig gestaltet mit exzessiver Sprachgewalt und schuf damit einen literarischen Kosmos zwischen gnadenlosem Realismus und fantastischer Mythenwelt. (hau)
Christian Schünemann / Jelena Volic: Kornblumenblau (Diogenes 2013)
Dieser Krimi aus dem postsozialistischen Belgrad ist eine einfache Ferienlektüre. Aber er bringt dem Leser mehr als nur oberflächliche Spannung: Man lernt den streckenweise tristen und dennoch farbigen Alltag im neuen serbischen Staat kennen und dessen politische Strukturen. Diese sind von Korruption verseucht. Ausgangslage: Ein Mord an zwei Soldaten. (hü)
Anton Tschechow: Die Dame mit dem Hündchen. Erzählungen 1896–1903 (dtv 2009)
«Die Dame mit dem Hündchen» von 1899 gehört zu Tschechows berühmtesten Erzählungen. Er berichtet von einer Liaison in Jalta zwischen einem Ehe müden Beamten und einer jungen, schüchternen Dame. Was für den erfahrenen Fremdgeher als schnelle Affäre gedacht ist, entwickelt sich zu etwas Ernsthafterem. Eine kleine, feine Geschichte aus dem Spätwerk. (bc)
Iberien
Jordi Puntí: Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz (Kiepenheuer & Witsch 2013)
Der Katalane Gabriel kutschiert mit seinem Möbeltransporter durch halb Europa. Als er eines Tages nicht nach Barcelona zurückkehrt, sucht sein Sohn Cristòfol nach Spuren. Dabei stösst er auf seine ihm bis anhin unbekannten Brüder. Er setzt sich mit Christopher, Christof und Christophe zusammen und lernt seinen Vater Gabriel von ganz neuen Seiten kennen. Eine fantastische Geschichte in starken Bildern und wuchtiger Sprache. (fn)
Antonio Munoz Molina: Die Nacht der Erinnerungen (DVA 2011)
Dieser Roman ist fast alles in einem: Politische Abrechnung mit den spanischen Faschisten, Mahnung an die Linke, Liebesgeschichte und Bilanz des Scheiterns. Im Zentrum steht der fortschrittliche Architekt Igancio Abel Mitte der 30er-Jahre kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Er versucht, sich mit Hilfe seiner Geliebten, einer jungen Amerikanerin, aus den autoritären, verlogenen Familien-strukturen zu lösen. (hü)
Javier Marias: Die sterblich Verliebten (Fischer Verlag 2012)
In Javier Marias’ philosophischem Thriller gerät die Protagonistin Maria in eine moralische Zwickmühle: Sie hegt den Verdacht, dass ihr ehemaliger Liebhaber für die Ermordung seines Freundes verantwortlich ist. In seinem typischen, in Reflexionen ausschweifenden Stil leuchtet der spanische Autor wieder in die Abgründe der Seele und die Unwägbarkeiten der Liebe. (bc)
Fernando Pessoa: Mein Lissabon. Was der Reisende sehen sollte (Ammann 2001)
Lissabon aus dem Blickwinkel des grossen portugiesischen Dichters Fernando Pessoa: Als Reiseführer ist der Band von 1925 zwar nur bedingt für heutige Stadtbesucher geeignet, als historisches Dokument ist er aber vergnüglich zu lesen und lenkt den Blick auf damalige Sehenswürdigkeiten. Ergänzt wird die Edition mit historischen Bildern und Zitaten aus Pessoas Werk. (bc)
Frankreich
Dominique Manotti: Roter Glamour (Argument 2011)
Als ehemalige Professorin für Wirtschaftsgeschichte und hohe Gewerkschaftsfunktionärin weiss die Frau, wovon sie schreibt. Enttäuscht von der Politik, hat sie sich dem Krimischreiben zugewandt. Dies ist eines ihrer tollen Bücher, in der Polizistin Noria Ghozali (mit Migrationshintergrund) im Mittelpunkt steht. Es spielt in der Mitterand-Ära in Paris (Bild) und geht um politische Gewissenlosigkeit, um Intrigen und Gewalt. Lakonisch erzählt, realistisch packend. (hau)
Jérôme Ferrari: Predigt auf den Untergang Roms (Secession Verlag 2013)
Eine Bar auf Korsika als Mikrokosmos für die Welt, als Bühne, wie die Welt eine ist. Geschaffen werden gar mehrere Welten, wenn Autor Ferrari mit kräftiger Sprache in unterschiedlichen Tonlagen erzählt, von französischer Geschichte des 20. Jahrhunderts, von Philosophie und Theologie. Titel und Kapitelzitate stammen übrigens von Kirchenvater Augustinus. (hau)
Philippe Djian: Die Rastlosen (Diogenes 2012)
In einer halsbrecherischen Fahrt kurvt ein Literaturdozent zu Beginn von Philippe Djians Roman eine Strasse hinauf, neben sich eine vom Alkohol halb bewusstlose Studentin. In diesem Tempo geht es weiter: Mit seinen Figuren hat der französische Autor kein Erbarmen, sie sind rastlos und von der Vergangenheit gezeichnet. Djians Psychogramm entwickelt einen unwiderstehlichen Sog bis zum Ende. (bc)
Gustave Flaubert: Madame Bovary (Insel Verlag 2004)
Die berühmte Ehegeschichte aus dem Jahr 1857 nimmt in ihren Grundzügen auch im heutigen Zeitalter aktuelle Beziehungs-Fragen auf: Im Mittelpunkt steht Emma, die den Landarzt Charles heiratet. Mit ihrem einfallslosen Mann beginnt sie sich im monotonen Dorfalltag bald fürchterlich zu langweilen. Ihre versteckten Sehnsüchte projiziert sie auf andere Männer und stürzt sich damit ins Unglück. (bc)