Am Anfang war Jubel, am Ende ein Donnerwetter. Nachdem im Dezember die Baltic Sea Philharmonic in der Zürcher Tonhalle in einem Konzert der Migros-Kulturprozent-Classics aufgetreten war, erhielt der künstlerische Leiter, Mischa Damev, so viele positive Zuschriften wie noch nie: «So geht Klassik!», hiess es da etwa.
Zu Beginn des Abends hatte Damev noch gedacht, dass das Publikum am Ende buhen würde. Doch siehe da: Vom stehend spielenden Jugendorchester, das die Werke bunt mischte, ging eine unheimliche Energie aus. Ob Klassik wirklich so geht, will der Intendant am nächsten Morgen beim Gespräch nicht sagen, aber mit aller Deutlichkeit meint er: «Ich weiss, dass Klassik so nicht mehr geht, wie wir sie bis jetzt hatten. Covid war ein Brandbeschleuniger: Die Klassik fährt gegen die Wand, unser Betrieb ist nicht mehr zeitgemäss, die Klassikszene ist verkrustet, altmodisch.»
Die harten Worte kommen von einem, der tief in der Klassikszene verwurzelt ist: Damev wurde 1963 in Bulgarien geboren, kam 1973 in die Schweiz und studierte erst Klavier, dann Dirigieren. Ab 1990 kam er ins Musikmanagement, war der erste künstlerische Leiter der Orpheum Stiftung zur Förderung junger Solisten in Zürich. Seit 2007 ist er Intendant der Konzertreihe Migros-Kulturprozent-Classics, seit 2018 des Septembre Musical in Montreux.
So einer, der wie die Made im Speck sitzt, redet alsbald heftig gegen die Szene an, meint, dass ein klassisches Konzert eine Abfolge von veralteten Ritualen sei. Beim Konzert mit der Baltic Sea hingegen habe er schlicht Freude gespürt: «Das habe ich im Konzert selten.»
Damev hat Ideen, wie die Klassik in Zukunft ausschauen kann: Es soll nicht mehr ein Solist im Zentrum stehen, zu dem alle bewundernd hochschauen. Auch der Dirigent sei nicht so wichtig von aussen. «Es kann doch nicht mehr sein, dass der Dirigent sich so unglaublich feiern lässt und an einem Abend mehr kostet als das ganze Orchester zusammen. Wir leben nicht mehr in einer Zeit der Sonnenkönige, das imperialistische Tun muss in der Klassik Geschichte sein.»
Die Schuld an der Misere liege nicht beim «ungebildeten» Publikum, sondern bei den Veranstaltern: «Heute will niemand erzogen werden, die Leute wollen mitgenommen werden.» Und so will Damev den Betrieb umkrempeln. «Die Präsentation muss zeitgemäss sein: Aus den Wurzeln muss etwas Neues wachsen. Ab 2024 will ich nur noch Projekte machen, bei denen Konzerte entstaubt wirken.»
Er hat bereits eine Liste von Künstlerinnen und Künstlern, die genauso wie er denken: Geigerin Patricia Kopatchinskaja oder Dirigent Iván Fischer. «Beide sind Brückenbauer. Fischer etwa bringt einen Schauspieler als Moderator auf die Bühne – halb Show, halb Didaktik. »
Mischa Damev ist überzeugt, dass auch kleine Dinge eine unglaubliche Energie entwickeln können. Heftige Kritik übt er am Subventionssystem, daran, dass mit Millionen etwas unterstützt werde, das kaum mehr jemanden interessiere. Er zitiert einen US-israelischen Investor, der behauptet, dass unser System schlicht dumm sei: «Öffentliche Gelder, damit 900 Leute in einem Saal Spass haben und der Künstler 30 000 Franken erhält? Seid ihr in Europa noch zu retten?»
Und Damev selbst fragt: «Ist es richtig, dass die öffentliche Hand so viel Geld für etwas gibt, das so wenige Menschen interessiert? Falls wir die Frage mit ‹Nein› beantworten, müssen wir von den astronomischen Gagen runterkommen – auch wenn ich sie jedem gönne.»
Die Finanzen, ist er überzeugt, werden bald ein riesiges Problem: «Die kommende Generation der reichen Leute geht nicht mehr in Konzerte, gibt als Mäzen kein Geld dafür. Den Festivals geht so nicht nur das Publikum, sondern auch viel Geld verloren. Und niemand will mehr Klassik sponsern.»
Auch einer Starpianistin wie Khatia Buniatishvili will Damev in Zukunft sagen: «Du kriegst nur noch die Hälfte der Gage.» Er glaubt nicht, dass sich dann der Nächste freut und sie engagiert: «So viele gibt es nicht, die ihre Gage zahlen können. Wenn die Sponsoren sich zurückziehen, dann wird es schwierig, mit Klassik Geld zu verdienen.
Nestlé etwa zieht sich von einigen Festivals zurück, andere auch.» Gagen und Kartenpreise halbieren Selbst die grossen Orchester würden nicht mehr ziehen. «Der Run auf die Orchester und die grossen Namen ist vorbei: Wer von denen füllt denn noch einen Saal, wer zieht? Anne-Sophie Mutter, Yuja Wang … und dann? Pollini? Längst nicht mehr. Covid hat gewisse Namen innerhalb von zwei Jahren praktisch vergessen gemacht. Diese Künstler merken das nicht. Noch nicht.»
Die hoch subventionierten Orchester täten wenig, man habe Angst, das noch vorhandene Publikum zu verlieren. «Und nun müsste man riskieren, noch mehr zu verlieren, um ein neues Publikum zu gewinnen. Das machen die nicht. Aber ein Privatunternehmen wie Migros möchte in die Zukunft investieren und Experimente wagen.» Nicht nur die Gagen, sondern auch die Kartenpreise sollten halbiert werden.
«Die Parkettplätze kosten heute 150 Franken, da die Sinfonieorchester sonst trotz Subventionen die Gagen der Solisten und der Chefdirigenten nicht bezahlen können.» Und die Löhne seien ein Geheimnis. «Alle reden von der Wirtschaftlichkeit, nur die klassische Musikszene bleibt eine Blackbox.»
Die Alternative zu seinen Ideen sieht ziemlich trist aus: «Festivals, bei denen die Karten 1000 Franken kosten und an denen die immer gleiche Handvoll Superstars auftritt. So wie im 18. Jahrhundert», sagt Mischa Damev ernüchtert.
Konzerte von Migros-Kulturprozent-Classics
Berliner Barocksolisten mit Frank Peter Zimmermann
Mo, 27.2., 19.30 Victoria Hall Genf
Di, 28.2., 19.30 Salle de musique
La Chaux-de-Fonds NE