Wir beginnen diesen ersten Schritt mit den leisen Tönen, den Zwischentönen, dem Ungehörten, dem Schemenhaften und Unerkannten», schrieb Mirella Weingarten zur ersten Schlossmediale 2012.
Die Regisseurin, Kuratorin, Kostüm- und Bühnenbildnerin, damals in Bregenz tätig, war eingeladen worden, das neue Festival zu leiten: An einem wunderbaren Ort, abseits des grossen Kulturstroms. Werdenberg, zwischen Buchs und Grabs gelegen, ist mit rund 60 Einwohnern die kleinste «Stadt» der Schweiz. Das 800-jährige Schloss gilt heute mit Museum, Konzerten und Bistro als «Kulturschloss».
«Es hat wunderbar alte, aber auch moderne Räume, es ist eine visuelle und akustische Reise», sagt Weingarten.
«Die Künstler reagieren auf das Schloss. Dadurch wird das, was am Festival stattfindet, einzigartig. Das Schloss verbindet die Kunst und die Künstler, so verschieden sie auch sind.» Was sie dort gestalten, seien wahre Liebeserklärungen an den Ort.
Hier werden Spartengrenzen überwunden, und das interessiert Weingarten: «Ich finde es oft traurig, wie sich die Künste voneinander abgrenzen, wie auch im Publikum Monokulturen entstehen: Alte Musik, Neue Musik, Kunst in den Galerien. Selten findet man an diesen Orten dasselbe Publikum. Ich habe lange damit gehadert, dass ich mich selbst nicht festlegen wollte.»
Diese Offenheit für alle Richtungen hat ihr Schaffen von Anfang an geprägt. Ihre ersten Arbeiten mit zeitgenössischer Oper und Tanztheater waren «immer experimentell und oft visuell und installativ gedacht.»
Und wenn sie heute etwa eine Belcanto-Oper inszeniert, wird dabei, wie in der Epoche üblich, auch getanzt. Bevor sie in London studierte, wuchs Weingarten in Westberlin auf, wo es für sie während der 1980er-Jahre vor allem eines gab: «Eine wunderbare, reiche Welt an Theater und Tanztheater. Ich konnte nicht genug bekommen und habe davon geträumt, auch mal solche Welten gestalten zu können.»
Diese baut sie heute in ihren Inszenierungen auf – oder als Kuratorin in Werdenberg. «Kunst darf aufrütteln, sinnlich sein, verwirren» «Wind» lautet das diesjährige Motto. «In seiner Zartheit und Kraft erinnert der Wind uns daran, dem Zauber der Elemente mit Demut zu begegnen», meint Weingarten. Eingeladen ist etwa der Komponist Daniel Ott, der sich in seinen Aufführungen stets den Elementen aussetzt.
Aber auch sonst wird das Thema Wind beleuchtet. Diese Naturgewalt wirft ja manchmal die Dinge auf den Kopf. «Ich bin vor kurzem auf den schönen Satz von Theodor Adorno gestossen, dass es die Aufgabe von Kunst ist, Chaos in die Ordnung zu bringen», sagt sie. «Ich finde den Satz aktueller denn je, wir sind so sehr damit beschäftigt, alles zu kontrollieren, zu bewerten, uns korrekt zu verhalten. Kunst darf aufrütteln, nachdenklich machen, sinnlich sein, verwirren, Fragen stellen, anstatt Antworten zu geben.»
Schlossmediale Werdenberg
Fr, 26.5.–So, 4.6.
www.schlossmediale.ch
Mirella Weingartens Kulturtipps
Museum
Muzeum Susch
«Das Muzeum Susch im Unterengadin ist eine Reise wert: Nicht nur die Ausstellungen, auch das liebevoll renovierte Haus mit den wunderbaren Skulpturen und Installationen im Garten, mitten im schönsten Bergpanorama.»
www.muzeumsusch.ch
Buch
Andreas Schäfer: Die Schuhe meines Vaters (Dumont 2022)
«Ein Abschied vom Vater, ein ehrliches Beobachten der eigenen Erinnerung und ein versöhnliches Buch über das Loslassen. So befangen ich sein mag, da das Buch mein Mann geschrieben hat – ich kann es trotzdem nicht lassen, es aus tiefem Herzen zu empfehlen.»
Gastronomie
Gasthaus Traube, Buchs SG
«Bei uns in Buchs hat die Traube neu eröffnet. Ein kulinarisches und obendrein visuelles Erlebnis – letzteres sowohl auf dem Teller als auch an Wänden und Decken.»