-minu - «Die Flucht vor der Art …»
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Kulturtipp 12/2012
-minu
Wenn Art ist, ziehe ich Leine. Verlasse Basel. Und buche eine Woche Zürich.
SO WEIT IST ES GEKOMMEN!
Klar. Alle sagen mir, Basel sei nie so international wie zur Zeit der «Kunstolympiade». Da könne man in Limmatdowntown noch so lange rote Teppiche auslegen – Cervelat bleibe Cervelat.
Na ja – ich mag Cervelats. Und gebe als Basler auch gerne den Senf dazu.
Das Wort «Kunstolympiade» stammt übrigens ni...
Wenn Art ist, ziehe ich Leine. Verlasse Basel. Und buche eine Woche Zürich.
SO WEIT IST ES GEKOMMEN!
Klar. Alle sagen mir, Basel sei nie so international wie zur Zeit der «Kunstolympiade». Da könne man in Limmatdowntown noch so lange rote Teppiche auslegen – Cervelat bleibe Cervelat.
Na ja – ich mag Cervelats. Und gebe als Basler auch gerne den Senf dazu.
Das Wort «Kunstolympiade» stammt übrigens nicht aus meiner Feder. Es ist ein Pla-giat.Viele grosse Kunstkritiker haben diesen Ausdruck für die Millionenmesse in Basel gebraucht. Was wieder einmal zeigt, dass die Einfallskunst der Kritiker kleiner ist als diejenige der Künstler, über die sie urteilen.
Ich finde das Wort «Kunstolympiade» übrigens nicht besonders treffend. Ich würde «Kunstzirkus» vorziehen. Oder, wenn wir von der Vernissage reden: «Parade der Absurditäten» …
Natürlich ist Basel eine Fasnachtsstadt. Aber die Art-Vernissage überbietet an schrägen Kostümen, skurrilen Hüten, gelifteten Larven und entlarvten Möchtegern-Dazubis jedes schrille Maskentreiben der Rheinstadt.
Die Vernissage ist eigentlich ein Kunstwerk an und für sich. Vor allem für sich. Und für die Normal-Besucher. Die millionenschweren Sammler aus Japan und den Staaten, die Geldanleger aus Russland mit ihren Rolex-Handgelenken und den Notenköfferchen, die grossen Stars wie Richard Gere, Liza Minnelli oder Elton John sind alle bereits wieder abgereist. Sie haben die Ehre, v o r dem Ansturm des lustigen Plebs die Runde zu machen. Und bei einem kleinen Picasso oder grossen Giacometti zuzugreifen.
Ich kann mich noch sehr gut an die allererste Art erinnern. War 1970. Und fiel auf meinen Geburtstag.
(Der ganz persönliche Frust ist, dass seither alle Art-Messen auf meinen Geburtstag gefallen sind. Und jedes Mal, wenn ich eine Happy-Birthday-Fete starten wollte, war das Desaster vorprogrammiert: alle Beizen rammelbummsvoll. Das letzte Tischlein ausverkauft … dazu das entsetzte Abwehren der Freunde: «DEIN GEBURTSTAG? ABER DANN IST DOCH ART-PARTY … SORRY, MEIN LIEBER. ABER D A S WOLLEN WIR UNS NICHT ENTGEHEN LASSEN. SO ETWAS IST EINMALIG!»
Ich habe 42 Geburtstage bei Fleischkäse mit Spiegelei alleine gefeiert. Ganz einfach weil Restaurants und Freunde besetzt waren. JA HALLO – DA KANN SICH ABER MAL JEDER MEINE LIEBE ZUR KUNSTMESSE PERSÖNLICH AUSMALEN!
Als Trudl Bruckner, Balz Hilt und Ernst Beyeler das Halali zur ersten Art der besondern Art bliesen, starteten sie Rundtelefonate: «Da kommen Galeristen und Künstler ins kleine Basel – die wollen wir doch gross empfangen. Öffnet Tür und Tor!»
Der Basler Daig, der sich ansonsten eher verschlossen zeigt, liess sich hier nicht zweimal bitten. Kunst ist Kunst – und da sind alle alten Basler Namen immer über ihre langen Schatten gesprungen.
Da ich damals die Klatschspalte in der «National-Zeitung» schrieb, jagte ich von einer Party zur nächsten: Im Park der Burckhardts gabs Bellwürstchen und die ganz grossen Namen der Kunstszene. Vera Oeri hatte ihr grosses Haus in der Basler Dalbe eh schon immer für Künstler geöffnet – nun war es eine Art Hotel für die Schweizer Szene mit Tinguely, Hofkunst, Luginbühl, die alle mit Anhang eintrudelten. Esther Grether zeigte erstmals die private Sammlung, die ihr Mann aufgebaut hatte, Hildy Beyeler organisierte in ihrem Riehener Zaubergarten ein «Wähen-Fest» – und so wurde die erste Art zu einer sehr intimen, aber hochkarätigen Fete.
Immerhin – Ernst Beyeler wie auch Trudl Bruckner meinten damals, «es hätte besser laufen können. Die grossen Galerien aus Übersee fehlten.» Und der deutsche Kunstkritiker Hecht krittelte auch ein Jahr später noch in der «Welt»: «Es scheint, dass die Erwartungen der Basler Art-Initianten nicht ganz erfüllt worden sind.»
Der Erzrivale Köln, gegen dessen «Kunstmarkt» mit seiner elitären Auswahl an Galeristen die Basler ihre neue Messe provokativ und avantgardistisch entgegengesetzt hatten, triumphierte. Aber nicht lange. Als 1972 Harald Szeemann sowohl die Documenta 5 in Kassel wie auch die Biennale in Venedig kuratierte, wurde für amerikanische Sammler und Galeristen die Teilnahme in Basel interessant, ja geradezu ein «Must».
Die Partys wurden nun immer gigantischer. Die Messe selbest inszenierte Super-Feten. Basel machte den Weg in den Kunstzirkus auf seine Art.
Nach der 10. Art hat sich Hildy Beyeler immer einen Tag vor der Messe verabschiedet: «Na dann feiert mal schön ohne mich.» Sie verreiste in ein badisches Kurhotel. In einem sehr persönlichen Interview hat sie mir erklärt: «Ich mag dieses Theater, das mit Kunst nichts mehr zu tun hat, einfach nicht. Ernst liebt es. Ist ja auch sein Kind … da mache ich mich aus dem Staub. Und richte die Scheinwerfer auf ihn …»
Heute ist die Art d i e Kunstmesse schlechthin.
Selbst das Zürcher Fernsehen fährt vor, das ansonsten nur bei einer Chemieexplosion den Weg ans Rheinknie findet. Und berichtet. Allein schon dafür hätten die Art-Initianten einen Ehrendoktortitel verdient.
Natürlich lieben die Basler ihre schrillste Messe des Jahres: Man geniesst es, für einmal bei der übrigen Welt als Kulturhauptstadt dazustehen. Nun gut – ein klitzekleines Stück Grossweltduft. Mit Data-Stempel. Und «beschränkter Haftung».
Kommt dazu, dass alle profitieren: Taxifahrer und Hoteliers, Coiffeursalons und Beizen. Und apropos: Die sind ja auch dieses Jahr alle längst wieder überbucht.
Somit wird es wieder ein Geburtstagsfest mit Fleischkäse und Spiegelei geben. Irgendwo in Zürich.
Man muss für die Kunst auch Opfer bringen.
-minu
Der 65-jährige Basler Journalist und Buchautor -minu schreibt für die «Basler Zeitung». Mit einer Klatschkolumne in der «National-Zeitung» wurde er in den 1970ern bekannt und gehört seither zur Stadt wie das Münster. -minu ist zudem ein hervorragender Koch.