Wer dieses Buch liest, muss sich beweglich zeigen. Für die meisten wird der Satz «Tschel di es mort ün duonna pervi dad üna servula» auf Seite 55 erst verständlich beim Drehen des Buches um 180 Grad. Denn auf Seite 56 steht kopfüber übersetzt: «Letztens ist eine Frau gestorben wegen einer Cervelat.» Zugegeben, auch dieser Satz erfordert – geistige – Beweglichkeit und Fantasie. Doch genau darum geht es im ersten Buch von Bibi Vaplan. Sie lässt die Lesenden teilhaben an ihrem bewegten Leben, Denken und Dichten.
Gedichte in Vallader und Deutsch
Bislang war die 37-jährige Engadinerin als Musikerin bekannt, in jungen Jahren mit Punk, seit 2014 mit Indie-Pop. Ihre Texte singt sie in Vallader, dem rätoromanischen Idiom des Unterengadins. Übersetzungen dieser poetischen, hintersinnigen Lyrics finden sich auf ihrer Website. Das Buch soll die Gedankenwelt der Bibi Vaplan nun einem breiteren Publikum öffnen.
«E las culurs dals pleds – Und die Farben der Worte» versammelt in vier Kapiteln Gedichte, Aphorismen und Kürzesterzählungen; die meisten in Vallader und Deutsch. Wenige Texte seien unübersetzbar, sagt Bibi Vaplan, rät aber dennoch zur Lektüre: «Es geht mir um den Klang der Sprache. Und Rätoromanisch hat einen besonderen Klang.»
Tatsächlich wirken Kapitelüberschriften wie «La glüna» oder «cotschen» für sich, ihre Übersetzung («Der Mond» und «rot») weit prosaischer. Vereinzelte Kurzpoeme verstehen sich beim laut Lesen von selbst, bei anderen erschliesst sich die phonetische wie auch poetische Kraft erst durch die Kopfüber(über)setzungen.
Dabei lesen sich Vaplans Sätze aufs erste Hinschauen geradezu banal. Doch ein Minipoem wie «Es quai tuot? / O vain amo daplü? – Ist das alles? / Oder kommt noch mehr» kann einen nachhaltig umtreiben. Andere laden durch skurrile Bildhaftigkeit zum Kopfschütteln ein, was im besten Fall das Nachdenken in Gang bringt. Bibi Vaplans «pleds culurs» regen die Fantasie an. Getreu ihrem Aphorismus «Sonntagsweisheit: Es gibt nicht nur Ameisen im Kopf. Sondern auch Salat.»
Buch
Bibi Vaplan
«E las culurs dals pleds – Und die Farben der Worte»
130 Seiten
(Zytglogge 2016).
Lesungen
Di, 13.12., 20.00 Werkstatt Chur
Do, 29.12., 18.00 Donna Claudia Pop Up Store Scuol GR
Mo, 30.1., 21.15 Hotel Waldhaus Sils GR
Infos: www.bibivaplan.ch