Feingliedrig und mit einer jungen, frischen Ausstrahlung sitzt die Tänzerin Michelle Willems da. Die Beine hat sie locker im Schneidersitz gekreuzt, ihre Füsse stecken in wärmenden Stiefelpantoffeln. Das Treffen findet zwischen zwei Proben in einer ruhigen Ecke des Opernhauses Zürich statt, wo sie seit fünf Jahren Mitglied im Ballett Zürich ist – erst als Tänzerin im Junior Ballett und seit drei Jahren als «Solistin mit Gruppe». Die blonde Tänzerin wirkt jünger als ihre 26 Jahre, was dazu führt, dass Choreografen sie gerne für junge Rollen auswählen. So tanzte Willems im Zürcher «Nussknacker» das Mädchen Marie. Eine Auszeichnung mit kleinem Pferdefuss allerdings: «Durch mein jugendliches Aussehen werde ich oft auf Mädchenrollen fixiert», sagt sie, «mich reizte es aber schon, in Zukunft auch mal ganz andere Charaktere darzustellen.»
Von Moskau und Bangkok nach Lausanne
Auch in der neusten Produktion am Opernhaus «Das Mädchen mit den Schwefelhölzern» tanzt Michelle Willems eine der Hauptrollen. «Das Andersen-Märchen wird nicht chronologisch erzählt und die Hauptfigur auf mehrere Tänzerinnen aufgeteilt», erklärt sie. «Ich bin quasi der rote Faden durch das Stück.»
Willems tanzt, seit sie sechs ist. Es ist der feste Anker im polyglotten Leben der Französin. In Belgien geboren, wechselte sie mit ihren Eltern, Angestellte einer US-amerikanischen Firma, nach Kasachstan. Nach kurzer Zeit ging es weiter nach Moskau und von da aus nach Bangkok. Und wieder zurück nach Moskau, wo sie nach einem geglückten Vortanzen in die Schule des Bolschoi-Theaters aufgenommen wurde. Danach kam sie nach Lausanne ins Atelier Rudra-Béjart, wo sie erste Auftritte mit dem Béjart Ballet hatte.
«Moskau, wo ich insgesamt 10 Jahre gelebt habe, ist meine Heimatstadt, aber an Thailand habe ich mein Herz verloren.» Und wie hält sie es mit Zürich? Willems gefällt die Stadt, in der sie nach Moskau am längsten gelebt hat. «Alles ist gut organisiert», sagt die Weltenbummlerin und lacht hell auf. Alles, wonach ihr Herz begehre, sei auf engem Raum vorhanden: Kultur, See und Berge. Das Wandern sei zwar ihre Sache nicht, aber oben auf einem Gipfel mit schöner Aussicht zu stehen, geniesse sie. Willems bezeichnet sich als neugierigen Menschen. Sie möchte vom Leben und Tanz mehr wissen, andere Kulturen erkunden.
In der Tanzcompagnie finden sich ebenfalls Kollegen verschiedener Nationen. Nach einem Arbeitstag geht Willems mit ihnen gern ein Glas Wein trinken, ins Kino oder auch mal an ein Konzert. «Schade nur, dass es so schwierig ist, Leute aus anderen Milieus kennenzulernen», sagt sie. Man sei auch in der Freizeit meistens unter sich. Im Ensemble gehe es familiär zu und her, auch wenn jeder seine tänzerischen Ambitionen habe.
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Premiere: Sa, 12.10., 19.00
Opernhaus Zürich
Michelle Willems’ Kulturtipps
DVD
Bohemian Rhapsody (Twentieth Century Fox Home Entertainment 2019)
«Der Film über Queen-Sänger Freddie Mercury ist der erste und einzige Film, für den ich im Kino bis zum Ende des Abspanns sitzen blieb – einfach grossartig.»
Konzert
James Blake
«Die Musik von James Blake hat für mich eine besondere Bedeutung, denn sie erinnert mich an die Arbeit mit dem Choreografen William Forsythe. Am 15. April 2020 singt der Engländer im X-TRA in Zürich.»
Buch
Haruki Murakami: 1Q84 (DuMont 2010)
«Gerade habe ich angefangen, die Trilogie von Haruki Murakami zu lesen, und bin gespannt, die ganze Geschichte zu erfahren.»