Michael Kumpfmüller Kafkas letzter Sommer
Michael Kumpfmüller pokert hoch, wenn er die Liebesgeschichte zwischen Franz Kafka und Dora Diamant nacherzählt. Doch er gewinnt, und die Lesenden ohnehin.
Inhalt
Kulturtipp 23/2011
Letzte Aktualisierung:
05.03.2013
Frank von Niederhäusern
Da wagte es einer, über Franz Kafka einen Roman zu schreiben. Ein Unterfangen, das auf Skepsis stossen muss und zugleich auf Bewunderung, wird der austro-tschechische Autor doch bis heute als Monument der modernen Literatur verehrt. Als Mythos zudem, dem man bisher aus respektvoller Distanz begegnete. Nun ist Michael Kumpfmüller bekannt als literarischer Abenteurer, der bereits so schwierige Themen wie Kindsmord oder Staatsschutz in brillant erzählte Geschichten packte.
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Da wagte es einer, über Franz Kafka einen Roman zu schreiben. Ein Unterfangen, das auf Skepsis stossen muss und zugleich auf Bewunderung, wird der austro-tschechische Autor doch bis heute als Monument der modernen Literatur verehrt. Als Mythos zudem, dem man bisher aus respektvoller Distanz begegnete. Nun ist Michael Kumpfmüller bekannt als literarischer Abenteurer, der bereits so schwierige Themen wie Kindsmord oder Staatsschutz in brillant erzählte Geschichten packte.
Wenn er nun das letzte der 41 leidvollen Lebensjahre Franz Kafkas (1883–1924) als fiktionale Nacherzählung vorlegt und dieser auch noch den Titel «Die Herrlichkeit des Lebens» gibt, ist dem 50-jährigen Münchner erneut eine Überraschung gelungen. Der Titel erweist sich nach kurzer Lektüre als stimmig, erzählt Kumpfmüller doch von Kafkas Begegnung mit Dora Diamant, seiner grossen und letzten Liebe. Die 25-jährige Köchin holt den 40-jährigen Todgeweihten, der seine Tuberkuloseerkrankung in nächtlichen Schreibexzessen zu vertreiben versucht, nochmals ins blühende Leben zurück und beschert ihm einige «paradiesische» Wochen in Berlin.
Was nach Pathos und Verklärung klingt, kommt so leichtfüssig, atmosphärisch und stimmig daher wie einst Tucholskys «Schloss Gripsholm». Wie jener erzählt auch Kumpfmüller einen Sommer der Liebe vor dem Hintergrund dramatischer Umwälzungen. Kafka und Diamant leben ihre so plötzliche wie tiefe Liebe mitten im ökonomischen und soziopolitischen Gewitter von Hyperinflation und aufkeimendem Antisemitismus. Und im Wissen, dass ihre Romanze nur kurz sein wird: Kafka stirbt knapp ein Jahr nach ihrer ersten Begegnung.
Kumpfmüllers Roman basiert auf Briefen und Tagebüchern Kafkas, jene von Diamant sind verschollen. Speziell ist aber nicht nur die Geschichte, sondern auch die literarische Machart. Die Sprache, simpel und doch hochpoetisch-dicht, klingt leicht altertümlich und schafft es, Bilder, Emotionen, selbst Gerüche zu evozieren. Die Erzählweise ist nüchtern, zuweilen fast tagebuchartig. Gerade diese «Authentizität» macht das Buch zu einem höchst bewegenden Leseerlebnis.
[Buch]
Michael Kumpfmüller
Die Herrlichkeit des Lebens
239 Seiten
(Kiepenheuer & Witsch 2011).
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