In einem Garten im kosovarischen Prizren tummelten sich die Elefanten, und ein Löwe beschützte die Familie vor Einbrechern. Solch Abenteuerliches aus ihrer alten Heimat erzählt die Ich-Erzählerin in Meral Kureyshis Roman ihren neuen Schulkameraden in Bern. An Fantasie mangelt es dem Mädchen nicht. Die Geschichten sind allerdings aus der Not geboren: «Hätte ich vielleicht erzählen sollen, dass meine Eltern so viel geraucht und sich gestritten hatten, weil sie den ganzen Tag zusammen verbrachten? Dass sie nicht arbeiten durften und uns anschrien und sich jeden Tag Sorgen machten?», heisst es im Roman.
Die Ich-Erzählerin ist als Zehnjährige mit ihrer Familie, die zur türkischen Minderheit in Jugoslawien gehörte, in die Schweiz geflüchtet. Nach Stationen in einem Luftschutzbunker in Bern und einem Asylheim in Wilderswil lebt sie mit ihren Eltern und den zwei Geschwistern in einer kleinen Wohnung im bernerischen Neuenegg, wo sie die Schule besucht und ihre Erfahrungen mit den zurückhaltenden Schweizern macht. Während die Kinder schnell die neue Sprache lernen, bleibt die Mutter unselbständig und isoliert. «Ihr alle versteht mich nicht, und ihr redet eine andere Sprache als ich. Die Schweiz hat uns zu Fremden gemacht», sagt die Mutter zu ihrer Tochter. Das Asylverfahren dauert 13 Jahre lang, arbeiten dürfen die Eltern nicht.
Vertraut und fremd
Als ihr geliebter Vater stirbt, macht sich die inzwischen erwachsene Ich-Erzählerin auf die Suche nach ihren Wurzeln und besucht ihre Verwandten in Prizren. Ihre Grosseltern, der sanfte «Dede» und die sture «Babaanne», sind längst gestorben, und die anderen sind ihr inzwischen fremd geworden.
Meral Kureyshi, die viel mit ihrer Ich-Erzählerin gemeinsam hat, wechselt in ihrem für den Schweizer Buchpreis nominierten Debütroman zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Fakten und Fiktion. «Die Geschichten, welche mein Vater mir erzählt hat, vermischen sich so stark mit meinen Erinnerungen, dass ich nicht sagen kann, ob es wahr ist», sagte die Autorin gegenüber Radio SRF. Auch ihre früheren Tagebuch-Aufzeichnungen dienten als Erinnerungsstütze. Mit dem Schreiben fand Kureyshi, die später am Literaturinstitut in Biel studiert hat, einen Zufluchtsort in die Fantasie. Inzwischen hat Kureyshi in Bern ein Lyrikatelier gegründet, in dem sie Kinder und Jugendliche beim Schreiben unterstützt.
«Elefanten im Garten» ist das feinfühlige Porträt einer jungen Frau zwischen zwei Welten und Sprachen. «Wäre mir meine Kindheit nicht genommen worden, wäre ich ganzer, als ich heute halb bin?», fragt sich die Ich-Erzählerin. Sie erzählt ihre Geschichte, die auch von Einsamkeit und innerer Zerrissenheit handelt, nüchtern und unsentimental. Und sie gibt einen Einblick in das langwierige und aufreibende Asylverfahren, dem eine Migrations-Familie in der Schweiz ausgesetzt ist. Mit Humor beschreibt sie die verschiedenen Sitten und Gebräuche der beiden Länder – die Schweizer, die im Berner Marzilibad ungeniert nackt herumlaufen, oder ihre Verwandten im Kosovo, die ihr zur Begrüssung dreimal lautstark ins Gesicht pusten. Beide Welten sind ihr vertraut und bleiben ihr doch immer ein wenig fremd.
In fremde Welten eintauchen
«Europa» ist ein Themenschwerpunkt am Internationalen Literatur-Festival Buch Basel. In Lesungen und Diskussionsrunden mit internationalen Autorinnen und Autoren geht es um die Fragen der Identität, um Flüchtlinge, Krisen und Visionen. Die Veranstaltungsreihe «Die Deutschen und wir» geht dem Verhältnis der Schweizer zu ihren deutschen Nachbarn auf den Grund. Auf dem Programm stehen zudem eine Buchnacht, Musik-, Spoken-Word- und Kinderveranstaltungen. Am letzten Tag wird der Schweizer Buchpreis verliehen. Nominiert sind nebst Meral Kureyshi die Schriftsteller Ruth Schweikert, Monique Schwitter, Dana Grigorcea und Martin R. Dean.
Buch Basel
Do, 5.11.–So, 8.11.
www.buchbasel.ch
Radio
Live-Übertragung der Preisverleihung
So, 8.11., 11.03 Radio SRF 2 Kultur
«Buchzeichen» zum Schweizer Buchpreis
So, 8.11., 14.06 Radio SRF 1
Buch
Meral Kureyshi
«Elefanten im Garten»
144 Seiten
(Limmat Verlag 2015).
Lesungen
Meral Kureyshi
Sa, 31.10., 20.00 Kornhausforum Bern
Meral Kureyshi & Silvia Overath
Mi, 11.11., 19.30 Literaturhaus Zürich