Der Grossvater Landwirt, der Vater Landwirt, der Sohn Landwirt. Alle drei mit einer Bauerntochter verheiratet. Klischee? Wie wäre es mit dem? Vater Komponist – fünf Söhne Komponisten? Bei Johann Sebastian Bach (1685–1750) war das tatsächlich so, Carl Philipp Emanuel, Wilhelm Friedemann, Johann Christian, Johann Christoph Friedrich und Johann Gottfried Bernhard hiessen die fünf «Nachfolger»: Drei von ihnen waren zu Lebzeiten berühmter als der Vater. Kurz darauf machte ein wackerer «Hof- und Cammer-Componist» aus seinem Sohn den berühmtesten Komponisten der Welt: Leopold Mozart aus Wolferl erkannte das Genie seines Sprösslings Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791). Spannend ist die Frage, was aus der Schwester Maria Anna Mozart (1751–1829) geworden wäre, hätte man sie ebenso stark gefördert wie ihren Bruder. Neben den Bachs sind Vater und Sohn Johann Strauss das populärste Familiengespann der letzten Jahrhunderte, Robert Schumann und seine Frau Clara waren wohl die intellektuellste Verbindung.
Bei den nachschaffenden Künstlern scheint bisweilen alles eine grosse Familie zu sein – ungeahnte Verwandtschaften eröffnen sich. Am Menuhin-Festival sind neben Khatia und Gvatsa Buniatishvili beispielsweise die Pianistinnen Katia und Marielle Labèque zu hören. Yehudi Menuhins Sohn Jeremy Menuhin wird mit seiner Ehefrau Mookie und anderen Freunden in Gstaad auftreten. Gespannt ist man auf das Kölner Schumann Quartett, dessen Kern drei Brüder bilden. Die Estin Liisa Randalu verstärkt die drei seit vier Jahren.
Verwechslungsgefahr
Der grosse Name des Vaters ist bei Künstlerkindern kein Karrierehindernis – gerne wird den Kollegen-Kindern von anderen Musikern die Türen geöffnet: Dimitri Ashkenazy oder Adriana Marfisi (Tochter Nello Santis), Paavo (1962) und Kristian (1972) Järvi machten allesamt auch dank der Väter Karriere.
Bei Musikerfamilien besteht mitunter Verwechslungsgefahr. Die beiden Schweizer Cellisten Patrik (1962) und Thomas Demenga (1954) leiden indes kaum darunter. «Wir sind Brüder», sagt Thomas, «wir spielen beide Cello, sogar bisweilen zusammen. Da passiert es halt, dass wir verwechselt werden. Wir reden oft darüber, nehmen es aber meist gelassen: Es gibt nun mal einfach zwei von uns.»
Gemeinsamer Weg
Nett tönt es auch bei Mona Asuka Ott (1991), die offenbar von ihrer Schwester Alice Sara (1988) nur profitiert. Hier gab es einst einen entscheidenden Schnitt, damit die beiden nicht verwechselt werden: Alice Sara musste sich die langen Haare abschneiden. Bis die beiden 17 beziehungsweise 20 Jahre alt waren, zogen sie gemeinsam in den Unterricht und dann in die Klavierwelt hinaus. Doch dort hat nur Schwester Alice Sara den wahren Durchbruch mitsamt Vertrag bei der Deutschen Grammophon geschafft.
Als Pärchen stehen Künstler-Ehepaare vor einer andern Herausforderung: Beim Klavierduo Yaara Tal/Andreas Groethuysen wurde aus zwei Individuen eins. Das Duo hat nun eine 365-Tage Beziehung. «Für viele andere Paare ein Horrorszenario», sagt Tal trocken. Und Groethuysen ergänzt: «Ein Albtraum. Bei uns aber muss die Beziehung diese Nähe aushalten. Wenn es gelingt, verbindet es enorm. Wir sind sieben Tage die Woche zusammen.»
Oft sind es Geschwister, die zu Klavierduos werden. Das in Gstaad auftretende weltberühmte Duo Katia und Marielle Labèque liegt allerdings zwei Jahre auseinander (1950 und 1952) – nebenbei: Marielle ist mit dem Dirigenten Semyon Bychkov verheiratet, dessen Bruder der verstorbene Dirigent Yakov Kreizberg war …
Bisweilen kann die familiäre Beziehung schmerzlich und das Leben voller Entbehrungen sein. Arianna Savall (1972), Tochter des legendären Alte-Musikspezialisten Jordi Savall (1941) und von Montserrat Figueras, spricht ehrlich davon. Über zehn Jahre lang hat sie mit den Eltern professionell Musik gemacht, bis man sich 2008 entschied, musikalisch eigene Wege zu gehen. «Das war eine schwere Entscheidung.» Zu viel Eigenes war da am Wachsen, immer nur die «Tochter» zu sein, das ging auf die Länge nicht gut. «Beide müssen atmen können.» Noch etwas machte sie traurig. «Als Kind war es nicht leicht, zu verstehen, warum meine Eltern mich und meinen Bruder nach den schönen Sommerferien so oft mit dem Kindermädchen allein in der Schweiz liessen und erneut auf Tourneen gingen.»
Die Aussteiger
Eine der erstaunlichsten Künstlerfamilien – mit spektakulärer Aussteigerin – lebt heute in Salzburg: die Hagens. Vater Hagen war Solobratschist des Mozarteum Orchesters Salzburg. Dann wuchsen ihm vier famose Streicher ins Haus, die alsbald das «Hagen Quartett» gründeten, rasch bedeutende Preise gewannen und weltberühmt wurden. Heute allerdings sind im Quartett «nur» noch drei Hagens: Lukas, Veronika und Clemens. Angelika Hagen verliess im Alter von 20 Jahren als zweite Geige die Geschwister, da sie dieses vom Leben abgekapselte Geigerinnenleben im engsten Familienkreis nicht mehr aushielt. Nach einer Schauspielausbildung wurde sie Ethnologin – und berührte ihre Geige 20 Jahre nicht mehr.
Menuhin Festival Gstaad
Do, 14.7.–Sa, 3.9.
www.gstaadmenuhinfestival.ch