Melody Gardot - Die Reise zur Saudade
Melody Gardot stellt ihr neues Album «The Absence» am Montreux Jazzfestival und am Blueballs Luzern vor. Die 27-jährige Singer-Songwriterin aus den USA hat erst nach einem schweren Verkehrsunfall vor neun Jahren und teilweiser Behinderung zur Musik gefunden.
Inhalt
Kulturtipp 14/2012
Stefan Franzen
kulturtipp: Ihr neues Album resultiert aus Reisen nach Brasilien, Argentinien, Marokko und Portugal. Warum haben Sie es «The Absence» genannt?
Melody Gardot: Ursprünglich war der Beweggrund meiner Reise die Faszination für die Saudade, dieses Sehnsuchtsgefühl aus dem portugiesischen Kulturraum. Es gibt im Englischen kein Wort dafür, und doch ist es genau dieses Gefühl, das auch ich in meinem Leben erfahren habe. Als ich nach der Herk...
kulturtipp: Ihr neues Album resultiert aus Reisen nach Brasilien, Argentinien, Marokko und Portugal. Warum haben Sie es «The Absence» genannt?
Melody Gardot: Ursprünglich war der Beweggrund meiner Reise die Faszination für die Saudade, dieses Sehnsuchtsgefühl aus dem portugiesischen Kulturraum. Es gibt im Englischen kein Wort dafür, und doch ist es genau dieses Gefühl, das auch ich in meinem Leben erfahren habe. Als ich nach der Herkunft des Wortes forschte, stiess ich auf das lateinische «absentia», die Abwesenheit.
Haben Sie die Reise in den portugiesischen Sprachraum mit der Absicht begonnen, ein Album daraus zu machen?
Ich hatte eher das Verlangen, etwas zu entdecken, an Orte zu gehen, deren Sprache ich nicht spreche. Als ich mir mehr Zeit nahm, diese Orte zu erkunden, wurde ich zu einem Teil des Lebens dort. Ich fing sogar an, Portugiesisch zu lernen, und es wurde mir bewusst, dass da eine jahrhundertealte Linie zwischen der portugiesischen, der afrikanischen und schliesslich auch der südamerikanischen Musik ist. Es war nur konsequent, dass meine Musik und meine Rhythmen sich veränderten.
Haben Sie im Vorfeld die Lieder portugiesischsprachiger Musiker studiert, wie etwa Marisa Monte oder Caetano Veloso, an die der Sound auf «The Absence» zeitweise erinnert?
Sie sind eine natürliche Inspirationsquelle für mich. Aber es lief nicht so ab, dass ich Songs wie sie schreiben wollte. Eher war es das Feeling, das ich treffen wollte. Mein Produzent und ich waren darauf bedacht, dass die Musik nicht traditionell, sondern wie ein Hybrid klingt. Es ist wie bei der Einrichtung eines Hauses: Dort hast du ein Tuch aus Marokko, hier ein Gemälde aus Berlin, eine Lampe aus Frankreich. Du stellst dir die Dinge so zusammen, wie sie für dich einen Sinn ergeben.
In «Lisboa» singen Sie über Ihre Zeit in Lissabon. Was hat Sie an dieser Stadt so fasziniert?
Es ist ein makelloser Ort, der befreit ist von all dem Überflüssigen, das man in anderen Städten findet. Ein Ort, der alle Aspekte seiner Kultur bewahrt hat: Von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz, von Hand zu Hand, und von Getränk zu Mund (lacht). Dafür liebe ich diese Stadt.
Sie huldigen auch Yemanjá, der Göttin des Meeres aus der afrobrasilianischen Glaubenswelt …
Yemanjá ist meine Schwester, ihr Ehrentag ist an meinem Geburtstag! Sie ist der Körper aus Wasser, der uns trennt, uns aber auch vereinigt. Das war für mich auch symbolisch für die Musik: Denn dieser Wasserkörper trennte und vereinigte auf meiner Reise die Klänge, die ich über das Meer getragen habe.
Ein deutscher Journalist hat kürzlich geschrieben, Sie hätten das erotischste Vibrato, das man zurzeit in der Musikwelt finden könne. Würden Sie seiner Aussage zustimmen?
Huh, dieses Kompliment lässt mich erröten.
Wie haben Sie dieses Vibrato entwickelt?
Ich habe es nicht entwickelt. Dazu hat mich wohl jemand einmal in einem dunklen Raum inspiriert. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
[CD]
Melody Gardot
The Absence
(Universal 2012).
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