Am Anfang steht bei Christoph Simon immer eine Frage, die ihn berührt. Beim Text, der ihn letztes Jahr zum Schweizermeister im Poetry Slam machte, lautete diese: Was ist Glück? Die Antworten darauf sind ein Sammelsurium von Gedanken: «Glück isch, es Dach über em Chopf und gnueg z’Ässe. Glück isch, sich amne Muggestich z’chratze, bis es blüetet. Glück isch, wes eim glingt, ä Gugelhopf i eim Stück us dr Form zstürze. Glück isch, weme mit Mönsche, mit dene me absolut nüt wott z’tüe ha, o tatsächlich nüt z’tüe het …»
Im Berner Dialekt
Jetzt wagt sich Christoph Simon mit dem selbst geschriebenen Stück «Wahre Freunde» erstmals an ein Kabarettprogramm. Bilder über Freunde waren der Ausgangspunkt für seine abendfüllende Darbietung, die Mitte Februar in Bern Premiere hat. Dazu kommen Fragen, die man sich selber schon gestellt hat, aber selten ausspricht: Wann wird aus einer Ex eine Freundin? Wieso sagt man zu den einen «Kollegen» und zu den anderen «Freunde»? Was machst du, wenn du das Gefühl hast, dass die Freundin deines besten Freundes besser zu dir passt als zu ihm?
Simon trägt seine Texte auswendig und in einem gemächlichen Berner Dialekt vor. Die Pausen sitzen genauso wie Hemd und Krawatte – ein ungewohnter Anblick auf der Bühne eines «Dichterwettstreits». Das Hemd ist für Simon Uniform und zugleich Schutz vor dem Publikum. Und die Krawatte? Da scheint der Lausbub im 42-Jährigen durch: «Ich habe den Knoten gerade erst gelernt und möchte ihn jetzt brauchen.» Das Youtube-Video eines Inders hat ihm auf die Sprünge geholfen, nachdem er die Rekrutenschule und alle WKs mit den vom Vater geknüpften Krawattenknoten durchgestanden hat.
Distanzierter Blick
Es will so gar nicht zum Berner passen, dass er die Armeelaufbahn zu Ende gebracht hat. Er ist vielmehr einer, der fast alles abgebrochen hat – Gymnasium in Thun, Jazz-Schule in Bern und Studium in Basel. Und doch hat er die Kurve gekriegt. Es folgten Reisen in den Nahen Osten, nach Polen, Südamerika. Vor allem ein längerer New-York-Aufenthalt gab den Ausschlag, um mit dem Schreiben zu beginnen. Im Zentrum seiner Texte steht aber nie die Ferne: «Ich schreibe über den Mikrokosmos hier, über die kleinen zwischenmenschlichen Konflikte, Beziehungen und Freundschaften. Auf Reisen kann man mit einem distanzierten und entspannten Blick auf zu Hause blicken und die Ironie in der Sache erkennen.»
Zufall und Glück
Simon hat ohne einen Gedanken an eine Veröffentlichung mit dem Schreiben begonnen: Bis zu seinem 25. Lebensjahr habe er von der Gesellschaft nur profitiert, nun wolle er etwas zurückgeben. Und sei es nur eine Geschichte, die seinen Freunden gefällt. Sein 2001 erschienener Erstling «Franz oder Warum Antilopen nebeneinander laufen» handelt von einem dauerbekifften Maturanden, der am liebsten sein ganzes Leben am Gymi in Thun weiterlümmeln würde. Dafür hat Simon seine im Alter zwischen 15 und 25 Jahren entstandenen Tagebücher hervorgekramt. Der Zufall wollte es, dass sein Buch bei einem Verlag landete. Kindliche Naivität schwingt mit, wenn er zurückblickt: «Ich dachte, es ist ganz normal, dass ein Buch veröffentlicht wird, wenn man es geschrieben hat. Erst jetzt wird mir klar, was für ein Privileg das war, und welches Glück ich hatte.»
Auch 15 Jahre und eine Handvoll preisgekrönter Veröffentlichungen später sieht sich Simon bescheiden als «einer, der Geschichten erzählt – mündlich oder schriftlich». Er schränkt aber ein: «Ich habe das Gefühl, ich kann das alles gar nicht. Schreiben konnte ich ein paar Mal, aber wer weiss, ob das auch beim nächsten Mal klappt.» Klar ist für den Familienvater: Selbst wenn ihm die Hände abfaulen oder er erblinden würde, möchte er etwas tun, das im besten Fall für andere schön oder inspirierend ist.
Die schwarze Piste
Zur Bühne hat er ein gespaltenes Verhältnis: Hätte im Herbst 2013 vor seinem ersten fünfminütigen Poetry-Slam-Auftritt jemand gesagt, dass er in zwei Jahren ein abendfüllendes Kabarettprogramm vortragen würde, hätte er geantwortet: «Erstens möchte ich das nicht, zweitens kann ich es nicht.» Rückblickend waren das vielleicht die Motive, weswegen Simon bald mit dem Stück «Wahre Freunde» auftreten wird. Die Bühne vergleicht er mit der schwarzen Piste beim Skifahren: «Es ist die Hölle, du geniesst es überhaupt nicht, und gleichzeitig geniesst du genau das. Du fühlst dich extrem gestählt, wenn du unten ankommst.»
Seit er im letzten Jahr das Oltner Kabarett-Casting gewonnen hat, schreibt Simon an seinem Programm «Wahre Freunde». In komödiantischen Episoden seziert er Freundschaften. Und wohl auch diesmal wird der Autor mit einem Satz enden, der nach pechschwarzen Pointen fast schon schwermütig wirkt: «Und Glück isch, weme meh usem Läbe useholt, als ds Schicksal für eim vorgseh het.»
Wie ein roter Faden zieht sich das Glück durch sein Schaffen. «Mir ist es fast unheimlich: Mit dem Schreiben hatte ich Glück, mit dem Kabarett habe ich Schwein gehabt. Es würde mich nicht erstaunen, wenn ich mal eine Rechnung präsentiert bekomme.» Fast schon abergläubisch und nachdenklich wirkt der lustige Autor, wenn er sagt, er fordere das Schicksal mit seinem Glück heraus.
In seinen Augen liegt die Melancholie unter der Heiterkeit begraben: «Melancholisch ist das Leben ja, weil wir am Ende verlieren. Wir verlieren unsere Nächsten, wir verlieren unser eigenes Leben. Unsere Träume gehen nicht auf, wie wir es uns gewünscht haben.»
Bühne
Wahre Freunde
Premiere: Do, 19.2., 21.00 La Capella Bern
Fr/Sa, 27.2./28.2., 20.00 Im Hochhaus Zürich
Poetry Slam
Rauschdichten: Mit Christoph Simon, Sam Hofacher, Renato Kaiser und Amina Abdulkadir
Mo, 23.2., 20.00 Musigbistrot Bern