Es konnte vorkommen, dass er laut wurde. Dann stimmte etwas nicht. Denn Max Frisch (1911–1990) war ein introvertierter Zeitgenosse, der Urtypus des analytischen Schriftstellers. Kommentierend sehr wohl, am liebsten aber schriftlich und überlegt. Wenn sich Max Frisch zum gesprochenen Wort meldete, tat er dies aus Not oder aber, weil er darum gebeten wurde. Was er nicht unbedingt mochte. «Wie Sie mir auf den Leib rücken!», herrschte Frisch den deutschen Publizisten Fritz J. Raddatz an, als dieser ihn nach Privatem fragte. Gefallen ist dieser Satz während eines Interviews, das Raddatz 1981 mit Max Frisch für «Die Zeit» führte. Thomas Strässle kürte ihn zum Titel seines Sammelbandes mit Interviews und Gesprächen von Max Frisch.
Neue Einblicke ins Leben, Denken und ArbeitenSträssle ist Germanist, Privatdozent und Präsident der Max-Frisch-Stiftung. Als einer der aktuell besten Frisch-Kenner präsentiert der gebürtige Aargauer eine erlesene Auswahl aus Interviews, die neue Einblicke ins Leben, Denken und Arbeiten des Zürcher Autors geben. In zwei Fällen überrascht Strässle mit Erstabdrucken, zu jedem Interview liefert er eine fundierte Einführung. In seinem Vorwort geht er auf den Unwillen Frischs ein, interviewt zu werden, und zitiert aus dem «Beobachter» 1986: «Interviews tönen immer so endgültig, so zurechtgestutzt … (…) Die Leute können ja meine Bücher lesen.»
Themen von zeitlosem Interesse
Doch manchmal konnte Frisch nicht anders, als sich zu Wort zu melden. In einem seiner letzten Interviews, das er 1989 der «Sonntagszeitung» gab, verriet er, bezugnehmend auf die anstehende GSoA-Abstimmung: «Das ist es, was in diesem Land so viele einschüchtert. Man redet wie in Watte hinein. Da kann es einem auch passieren, was mir passiert ist: dass man zu schreien beginnt.»
Nun ist die Debatte zur GSoA-Initiative angejahrt, und die Frage stellt sich nach der Relevanz von Interviews, die Frisch vor 30, 40 Jahren gab. Strässle begegnet diesem Vorbehalt, indem er sich auf wesentliche Interviews beschränkt zu Themen von zeitlosem Interesse oder gar neuerlicher Aktualität.
«Man kann vielleicht nicht wissen, was politisch erreichbar ist, aber es ist wichtig, dass man nicht hinnimmt, wie es jetzt ist, noch die Lügen toleriert», sagte er 1984 zur US-Journalistin Jodi Daynard. Ein Satz von geradezu brennender Aktualität. Daynard, die ein dreitägiges (!) Gespräch mit Frisch für «The Paris Review» führte, entlockte dem damals 73-Jährigen erstaunliche Aussagen. «Ich habe sehr starke Gefühle, aber ich mag es nicht, sie zu beschreiben. Es gibt andere Wege, sie zu zeigen – Körpersprache oder Schweigen.» Frisch gestand ihr sogar, was er oft abgestritten hatte. Ja, er schreibe Gedichte. «Ich versuche es immer wieder, aber es gelingt mir nie.»
Ein zwiespältiges Verhältnis zur Schweiz
Auch dem streitbaren Fritz J. Raddatz machte Frisch interessante Geständnisse. «Die Emanzipation der Frau, und das wäre ja auch eine Emanzipation des Mannes (…), würde die Gesellschaft mehr verändern als etwa die Verstaatlichung der Schwerindustrie, der Banken, was ich mir beiläufig auch wünsche.»
Zu gesellschaftlichen und politischen Themen äusserte sich Max Frisch in Formulierungen von nachhallender Schärfe. Zur Demokratie sagte er der «Sonntagszeitung» 1989: «Die Schwierigkeit kommt daher, dass ich die Demokratie will und nicht der Meinung bin, dass wir sie haben.» Sein zwiespältiges Verhältnis zur Schweiz brachte er bereits 1964 in «Die Woche» auf den Punkt: «Viele Leute glauben, meine Hauptbeschäftigung bestehe darin, böse über die Schweiz zu sein. (…) In der Schweiz hat man sich noch nicht daran gewöhnt, Literatur zu haben, die nicht in der oder jener Form Propaganda für die Schweiz ist.»
Vom Gelingen und vom Scheitern
Immer wieder wird Max Frisch zu seinem Schreiben befragt. Auch hierzu gibt es Klärendes zu lesen: «Ich bin kein Sonderling. Man tut lieber, was gelingt», sagte Frisch 1961 seinem deutschen Kollegen Horst Bieneck in einem Werkstattgespräch. «Wenn ich Ihnen also sage, ich schreibe jetzt Prosa, so können Sie annehmen, dass ich über mein Theater verzweifelt bin.» Gut 20 Jahre später hat sich diese Verzweiflung offenbar gelegt. Jodi Daynard gegenüber gab Frisch sozusagen Entwarnung: «Ich benutze das Theater für das eher politische Material, weil das Theater ein öffentliches Ereignis ist. Das sogenannt private Material (…), das verkörpert für mich der Roman.» Im selben Gespräch gibt sich Max Frisch ungewohnt selbstkritisch. Als Jodi Daynard ihm ihre Enttäuschung über das religiöse Ende von «Stiller» offenbart, gesteht er einen «schwerwiegenden Fehler» zu. «Zu meiner Verteidigung kann ich sagen, dass das eine der ganz seltenen Zeiten war, in denen ich ernsthaft herauszufinden versuchte, ob ich religiös werden konnte oder nicht.» Noch überraschender ist, was dann folgt. Frisch: «Eigentlich bin ich ja auch gewarnt worden.» Daynard: «Wer hat Sie gewarnt?» Frisch: «Dürrenmatt …» Dieser habe seinen «Stiller» bejubelt, das Ende aber zerzaust. Friedrich Dürrenmatt, zu dem Max Frisch eine fast lebenslange, oft schwierige Freundschaft pflegte, taucht allenthalben auf in den Gesprächen. Ebenso seine beiden Lehrmeister Bertolt Brecht und Georg Büchner.
Vom Scheitern übrigens spricht Frisch an manchen Stellen. Fast rührend liest sich das Lebens- und Schaffens-Fazit des im Alter verbitterten Autors. Im Gespräch mit der WoZ sagte er 1986: «Noch lebe ich. Aber ich gebe zu, es müsste bald ein Wunder geschehen, damit ich als Bilanz sagen kann: Halleluja.»
Buch
Max Frisch
«Wie Sie mir auf den Leib rücken!»
Interviews und Gespräche
240 Seiten
(Suhrkamp 2017).