Einmal mehr wird einer, der zu Lebzeiten fast genauso intensiv bekämpft wie verehrt wurde, posthum zelebriert wie ein Nationalheiliger. Über Jahre hinweg fichiert, wird Max Frisch von demselben Staat nun mit Sondermarke und -münze gewürdigt. Dem toten Jubilar – Frisch wäre am 15. Mai 100 Jahre alt geworden, ist aber am 4. April vor 20 Jahren gestorben – hätte dieser Widerspruch wohl gefallen und Stoff geliefert.
Max Frisch wird in den kommenden Wochen auf zahlreichen Bühnen und Kanälen zu sehen und zu erleben sein (siehe Kasten rechts). «Eine gewaltige Präsenz», findet auch Annemarie Hürlimann, die eine Frisch-Ausstellung im Zürcher Museum Strauhof kuratiert. Diesen abschätzbaren Hype habe sie als Herausforderung verstanden, einen anderen Zugang zu Frisch zu suchen.
«Ausstellungen sind etwas anderes als Bücher. Man kann nicht einfach Texte an die Wand hängen. Bei Literatur-Ausstellungen, die von Büchern handeln, muss man sich eine Form ausdenken, die dem Medium Ausstellung gerecht wird», sagt die studierte Kunst- und Literaturhistorikerin. Ihr Team von der «Praxis für Ausstellungen und Theorie» in Berlin hat sich mit interdisziplinären Schauen international einen Namen gemacht.
Frisch anzusehen
Den Erwartungen der Zürcher Auftraggeber begegnete Hürlimann mit einem speziellen Konzept: «Wir gehen von den Rezipienten aus, also von Lesenden, Theaterbesuchern, Kinogängerinnen. Und fragen: Wie viel Frisch steckt in der Gegenwart und in jedem von uns?» Leben und Werk von Max Frisch werden in einer aufwendigen medialen Schau aufgearbeitet, die das optische Erleben mittels Film, Video und Animation ins Zentrum stellt.
Im Museum finden sich 17 Themeninseln zu Bereichen wie Theater, Schweiz, Fragen, Reisen oder Altern/Sterben. Jede Insel umfasst mehrere Stationen, an denen Unterthemen auf Monitoren dargestellt werden. Was sich kompliziert anhört, funktioniert höchst besucherfreundlich. Zum Unterthema «Spielen» etwa erläutert ein Theaterregisseur seinen Umgang mit Frisch. Es gibt einen Brief von Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld an Frisch zu lesen sowie einen Tagebucheintrag, in dem sich Frisch an seinen ersten Theaterbesuch erinnert.
Zum Thema «Fragen» hat Hürlimanns Team Passanten im Zürcher Niederdorf mit Frischs berühmten Fragebögen konfrontiert. Ergänzend gibt es eine Passage aus einer Rede an den Solothurner Literaturtagen zu hören, in der Frisch darlegt, was für ihn Fragen bedeuten. An der «Zürich»-Station flimmert ein Ausschnitt aus Matthias von Guntens Dokfilm «Max Frisch. Citoyen», in dem Peter Bichsel über Frischs Verhältnis zum «Züriblau» referiert. Ein Stadtplan zeigt Frischs zahlreiche Zürich-Adressen, die durch eine Textpassage aus «Stiller» untermalt werden. «Stiller» übrigens, «Homo faber», «Andorra» und weitere Werke werden entlang einer «Werkspur» quer durch die Ausstellung von Experten und Normallesern vorgestellt.
«Unerhörtes»
Die thematische Gliederung ermöglicht den Besuchenden, sich ihren persönlichen Max Frisch abzuholen. Annemarie Hürlimann: «Wir haben bewusst Bekanntes neben Unbekanntes gestellt, zeigen vertraute Fotos oder Filmausschnitte, aber eben auch Unerhörtes.»
Max Frisch gelte heute als Klassiker, betont sie, was aber nicht bedeute, dass er nicht mehr polarisiere. Wie unterschiedlich er wahrgenommen wird, illustriert die Kuratorin mit zwei Erlebnissen: «Bei unseren Interviews sind wir auf eine junge Studentin gestossen, für die Frisch Lebenshilfe war. Ein junger deutscher Erzieher dagegen sagte: ‹Max Frisch? Sagt mir jetzt eigentlich gar nix – aber geiler Name!›»