In unserem Viertel gibt es an der grossen Kreuzung mit der U-Bahn-Station drei Apotheken, und das sind die grosse Schinkel-Apotheke, die etwas kleinere Dafne-Apotheke, in deren Schaufenster alles auch auf Türkisch angeschrieben ist, und die gleich nebenan residierende und möglicherweise etwas später eröffnete Neue Apotheke. In der anderen Richtung, den Berg hinauf und nur ein paar Meter entfernt von der U-Bahn-Station, kommen gleich auf der rechten Seite, direkt neben dem Eingang zum Kaiser’s-Supermarkt, die Herz-Apotheke mit einer stilisierten Herzschlagkurve eines EKGs als Logo, die Gesundbrunnen-Apotheke, die mit hohen Holzschubladenschränken und mit Arzneigläsern mit lateinischen Beschriftungen eingerichtet und nach dem Gesundbrunnen-Center benannt ist, einem grossen Bahnhof und Einkaufszentrum in unserem Viertel, und schliesslich, auf der linken Seite zwischen einer Bäckerei und einem türkischen Gemüseladen die Thoben-Apotheke, die vermutlich den Namen ihres geschäftsführenden Apothekers trägt. Es ist nicht klar, warum es in unserem Viertel in nur einer Strasse sechs Apotheken gibt, aber sie alle müssen gut besucht sein.
An einem Tag betrat ich, weil ich ein neues Fläschchen Teebaumöl der Marke «Tebamol» für ein seit einiger Zeit mich plagendes Hautleiden benötigte, die grösste der Apotheken, direkt neben der U-Bahn-Station, die Schinkel-Apotheke, die in ihrem Eingangsbereich eher schmal ist und wie eine Art Durchgang wirkt und sich erst nach hinten hin zu einem Raum mit mehreren Regalen und fünf Kassen öffnet, die aber alle unbesetzt waren, und überhaupt war die Apotheke an diesem Morgen menschenleer, ich dachte sogar zunächst, dass sie noch geschlossen sei. Aber dann erklang, genau in dem Moment, da ich an eine der Kassen herantrat, ein elektronisches Klingelzeichen, und es erschien sofort durch eine Öffnung in der Wand eine Dame mit kurzem grauem Haar in einem weissen Kittel und fragte derart interessiert und beruhigend zugleich Bitte?, dass ich kurz, verstärkt vielleicht noch durch den angenehmen Geruch nach exotischen Arzneimitteln, den sie von dort hinten mit ihrem Durchtreten durch die Öffnung mithineingeweht hatte, glaubte, ich könnte ihr sofort alles erzählen über meine juckenden Füsse.
Ich nannte dann trotzdem nur das Produkt, das mich interessierte, und sie nickte und verschwand wieder im hinteren Bereich, wo sie, wie ich mir vorstellte, mein Öl nun sorgfältig mischte oder zumindest aus einer grossen braunen Flasche abfüllte. Sie müsse kurz im System nachschauen, sagte sie, als sie zurückkam, und tippte ein paar Sachen in den Computer. Sie habe das, was ich suchte, leider nicht hier. Aber sie könne im System, das mit der Dafne-Apotheke und mit der Neuen Apotheke nebenan verbunden sei, sehen, dass diese es möglicherweise vorrätig hätten.
Ich war von dieser Vernetzung der doch eigentlich konkurrierenden Apotheken kurz sehr überrascht, ein wenig begeistert sogar, ich fragte, ob denn auch die Angestellten in den zwei anderen Apotheken ihre Kunden hierher schickten, wenn sie einen Artikel gerade nicht da hätten.
Aber das sei doch überhaupt die Idee hinter der Vernetzung der Systeme, antwortete die Dame und lächelte über die Gläser ihrer rahmenlosen Brille hinweg freundlich. Es gehe schliesslich um die Gesundheit der Kunden.
Ich verliess die Schinkel-Apotheke sehr von diesem Service angetan. Jedoch war in der Dafne-Apotheke nebenan eine junge Frau mit einem Kopftuch sehr untröstlich, mir sagen zu müssen, dass sie das Teebaumöl des von mir genannten Herstellers nicht vorrätig habe, lediglich ein viel schwächer konzentriertes. Sie könne aber im System sehen, dass sowohl die Schinkel-Apotheke als auch die Neue Apotheke nebenan es haben müssten.
In der Schinkel-Apotheke sei ich doch gerade gewesen, sagte ich.
Dann würde ich es mal, sagte sie, in der Neuen Apotheke versuchen.
Draussen auf der Strasse war ich plötzlich von einer merkwürdigen Enttäuschung ergriffen. Ich war sogar etwas wütend, dass die Vernetzung der Systeme anscheinend nicht funktionierte. Weshalb ich beschloss, die Neue Apotheke gar nicht erst aufzusuchen und stattdessen eine der drei anderen Apotheken, die, wie ich hoffte, einzeln handelten.
In Folge wurde mir aber nicht nur in der Herz-, Gesundbrunnen- und Thoben-Apotheke hintereinander mit grossem Bedauern mitgeteilt, dass das Teebaumöl der Marke «Tebamol» nicht vorrätig sei, sondern man konnte und wollte auch keine Spekulationen darüber anstellen, ob eine der benachbarten Apotheken es möglicherweise auf Lager haben würde, man bot mir lediglich an, es bis heute Nachmittag, spätestens aber bis zum nächsten Morgen zu bestellen. Was ich jedoch kategorisch, wohl etwas trotzig auch, ablehnte. Und so stand ich schliesslich wieder draussen, zwischen der Bäckerei und dem Gemüseladen, und hatte kein Teebaumöl der Marke «Tebamol», dafür aber den halben Vormittag vergeudet.
Ich wollte schon nach Hause gehen, da sah ich auf der anderen Strassenseite, neben einem Handygeschäft, auf einem Schild über dem Schaufenster ein grosses rotes A, in dessen linkem Balken sich um den Fuss eines weissen Kelches eine Äskulapnatter wand. Es hatte dort, wie eine bunte Girlandenschrift im Schaufenster Auskunft gab, erst kürzlich die nach der Hauptstrasse unseres Viertels benannte Bad-Apotheke eröffnet.
Matthias Nawrat
1979 im polnischen Opole geboren, siedelte Matthias Nawrat mit seiner Familie 1989 nach Deutschland über. Er hat Biologie in Freiburg im Breisgau und später am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel studiert. Für seine Werke wurde er unter anderem mit dem Kelag-Preis ausgezeichnet. Zuletzt ist von ihm der Roman «Die vielen Tode unseres Opas Jurek» erschienen. Der Autor lebt in Berlin.