Als die Absagen reinkamen, war er gerade in Südafrika. Im ruhigen Magaliesburg wollte Mats Staub neues Material schneiden. Zuvor hatte er in Bamako und Dar es Salaam Gespräche geführt, diese gefilmt und aufmerksam zugehört.
Staub, der Theaterwissenschaft, Journalismus und Religionswissenschaften studierte und danach als Journalist und Dramaturg arbeitete, begegnet Menschen auf Augenhöhe. Mit seiner Kunst hält er intime Erinnerungen fest, um diese auf ihren Kern verdichtet dem Publikum zu vermitteln. In München, Kinshasa, Paris oder Bern.
Nun zwang ihn das Virus zur verfrühten Rückkehr in seine Wahlheimat Berlin, der Vielreisende ist zur Ruhe gezwungen. Er nimmts gelassen und setzt seinen Jahresvorsatz «mehr Poesie» um. Das bringt Abwechslung zu düsteren Corona-News.
Der Ausbruch mit 21 Jahren
Staub wuchs in einem religiösen Haushalt in Muri bei Bern auf. Mit 21 Jahren kam es zum Ausbruch: «Ich wollte mir nichts mehr vorschreiben lassen, aber auch nicht zu den Erwachsenen gehören», sagt er heute.
Mit 38 griff er diese Zeit des Auszugs und Studienbeginns wieder auf und begann Menschen unterschiedlichster Generationen nach deren 21. Lebensjahr zu befragen. In acht Ländern zeichnete er über 200 Gespräche auf. Jeweils drei Monate später besuchte er die Befragten erneut, führte ihnen die verdichteten Aufnahmen vor und filmte ihre berührenden Reaktionen. Diese bekommt man in «21 – Erinnerungen ans Erwachsenwerden» zu sehen.
Das Langzeitprojekt steht sinnbildlich für Staubs Arbeit zwischen Theater, Ausstellung, Audio- und Videokunst. Mal stehen Grosseltern im Zentrum («Meine Grosseltern», 2008–2013), ein andermal lädt Staub online dazu ein, wegweisende Lebensmomente zu beschreiben («Zehn wichtigste Ereignisse meines Lebens», 2012–2015).
In seiner aktuellen Arbeit «Death and Birth in My Life» lässt er immer wieder zwei Menschen über Tod und Geburt sprechen. Berühmtheiten interviewt er nie, zu vorgefertigt seien deren Erzählungen. Vielmehr interessiert ihn das «jetzt», wie er sagt: «Erinnerungen sind geprägt vom heutigen Zurückblicken. Ist jemand glücklich verliebt oder unglücklich getrennt, klingt der Blick auf Beziehungen in seiner Biografie ganz anders.» Erzählt jemand Belangloses, harrt Staub aus, gibt Persönliches preis und schafft Vertrauen.
Die Resultate gehen nahe. Weil jeder diese auf sich bezieht und über die eigene Biografie nachdenkt. Deshalb geht Staub auch in der Vermittlung eigene We-ge, plant, die neue Videoinstallation «Death and Birth in My Life» auch in Wohnzimmern zu zeigen: «Mich interessiert es, temporär kleine Gemeinschaften zu bilden.» Tod und Trauer soll man nicht nur alleine verarbeiten, sondern mit anderen teilen. Im Netz sind viele seiner Arbeiten unter matsstaub.com in adaptierter Form frei zugänglich. Sie trösten darüber hinweg, dass die Ausstellung zu «Death and Birth…» in Bern um Monate verschoben wird. Jonas Frehner
Mats Staubs Kulturtipps
Buch
Etel Adnan: Sturm ohne Wind (Edition Nautilus 2019)
«Etel Adnan blickt auf ein unglaublich spannendes Leben voller Krisen zurück. Bisher kannte ich sie als Malerin, nun tauche ich in ihr schriftstellerisches Werk ein.»
Musik
ECM bei Spotify
«Es freut mich, dass das Label ECM immer stärker auf Spotify vertreten ist. In einer selbst zusammengestellten ECM-Playlist höre ich nun alles von Bach über Pärt bis zu Anouar Brahem und Dino Saluzzi.»
Buch
Mary Oliver: Devotions (Penguin Press 2017)
«Mein Jahresvorsatz lautet: ‹mehr Poesie›. So lese ich aktuell möglichst jeden Morgen einige Gedichte. Etwa von Mary Oliver, die so wundebar die Natur feiert.»