Die Bestürzung war landesweit und gross, als am 3. April letzten Jahres der Tod von Mathias Gnädinger vermeldet wurde. Der grosse «Charaktergrind» galt vielen als unverwüstlich. Und dann starb er, 74-jährig, noch vor dem todkranken Jörg Schneider, den er schon im gemeinsamen Film «Usfahrt Oerlike» beerdigt hatte.
Obwohl Gnädinger darin den altersfitten Willi strotzend vor Energie und Lebensfreude spielte, wurde Paul Rinikers Tragikomödie gemeinhin auch als Vermächtnis der beiden alten Volksschauspieler gefeiert. Was damals nur wenige wussten: Gnädinger hängte gleich noch einen Film an. Regisseur Stefan Jäger hatte dem Schaffhauser eine Rolle auf den Leib schreiben lassen.
Reise nach Japan
Nun kommt «Der grosse Sommer» in die Kinos und zeigt Mathias Gnädinger so, wie ihn alle kannten: als liebevollen Polteri, der den Alltag in seiner behänden Massigkeit zu bestehen versucht. Anton Sommer lebt in einem alten «Wönigli» irgendwo auf dem Land und baut ein Flaschenschiff nach dem andern. Immer wieder aber gerät seine an sich ruhige Hand ins Zittern: Wenn Hiro im oberen Stock nämlich mal wieder sein Zimmer auf den Kopf stellt. Der Zehnjährige nervt den alten Sommer gehörig, doch er kann sich nicht wehren. Denn Hiro lebt bei seiner Grossmutter (Monica Gubser), und der gehört das Haus.
Dann stirbt die Grossmutter, der Bub soll ins Heim. Sommer ist erleichtert, hat die Rechnung aber ohne den cleveren Hiro (Loïc Sho Güntensperger) gemacht. Der Halbjapaner möchte in die Fussstapfen seines Vaters treten und in Japan eine Sumoringer-Schule besuchen. Und Sommer soll ihn begleiten. Falls nicht, will Hiro ihn aus dem von der Grossmutter geerbten Haus werfen. Sommer willigt ein – zähneknirschend. Wobei ihn die Sumoringer-Schule hellhörig macht. In seiner Jugend nämlich war Sommer Toni mehrfach Schwingerkönig.
So begleitet der Senior den kleinen Frechdachs nach Japan, nichtsahnend, dass diese Reise sein Leben nochmals verändern wird. Und dass Hiro – genauso stur wie Sommer selbst – dem bärbeissigen Alten sein trauriges Geheimnis entlocken wird.
Vermächtnis
«Der grosse Sommer» ist ein Feelgood-Movie, wie Regisseur Stefan Jäger selbst sagt. Eine simple Story, die von den beiden Protagonisten lebt. Gnädinger kann nochmals sein ganzes schauspielerisches Potenzial präsentieren, was er mit sichtlichem Vergnügen tut. So ist dieser Film das wirkliche Vermächtnis des grossen Schauspielers: nichts weniger, aber auch nichts mehr.
Der grosse Sommer
Regie: Stefan Jäger
Ab Do, 28.1., im Kino
6 Fragen an Regisseur Stefan Jäger
«Ein wunderbares Abschiedsgeschenk»
Regisseur Stefan Jäger hat dreimal mit Mathias Gnädinger zusammengearbeitet. Das letzte Mal für «Der grosse Sommer».
kulturtipp: Sie sind der letzte Regisseur, mit dem Mathias Gnädinger drehte. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
Stefan Jäger: Wenn ich den Film heute sehe, ist es schön, mit welcher Lust und Freude Mathias Schauspieler war. Er blühte richtig auf und genoss die Dreharbeiten. Ich spüre, dass er schauspielerisch mit «Der grosse Sommer» im Guten abschliessen konnte. Er hat uns ein wunderbares Abschiedsgeschenk hinterlassen.
Es ist ungewöhnlich, Gnädinger als ehemaligen Schwingerkönig in Japan zu sehen. Weshalb wollten Sie unbedingt ihn für diese Rolle?
Es gibt nur wenige Kinofilme, deren Drehbuch extra für Mathias Gnädinger geschrieben wurde. Das wollte ich ändern. Wir haben ihn schon früh involviert. Er hat sich sehr auf Japan gefreut, obwohl er wie ich vorher noch nie dort war. Ihm gefiel die Idee, im Film als ehemaliger Schwingerkönig nach Japan zu reisen und dort wie ein Elefant im Porzellanladen umherzutrampeln.
«Der grosse Sommer» ist für den Prix du Public der Solothurner Filmtage nominiert.
Es ist ein Film ohne tiefsinnigen Anspruch. Er soll die Leute bewegen, berühren und zum Lachen bringen. Auch wenn er zwischendurch etwas traurig ist. Bei den Vorpremieren in Japan war ich positiv überrascht, dass beim Publikum diese Emotionen ausgelöst wurden, obwohl die Japaner als reserviert gelten.
Hatten Sie einen Kulturschock?
Nein, Mathias auch nicht. Er war anderen Kulturen gegenüber sehr offen. Ich habe versucht, das nachzuleben. Als ich in Japan ankam, hatte ich sofort das Gefühl, dies sei das richtige Land, um meine Geschichte zu erzählen. Ich habe Japan sehr gastfreundlich und menschlich erlebt.
Gab es nichts, was Ihnen fremd war?
Doch. Die Arbeitsamkeit der Japaner. Mir würde es schwerfallen, mit nur zwei Wochen Ferien im Jahr durchzukommen. Für mich als Filmschaffenden war es ein Luxus zu wissen, dass dort fast Tag und Nacht für mich gearbeitet wurde.
Gnädinger kann seine Nudelsuppe im Film nicht mit Stäbchen essen. Hatten Sie das im Griff?
Ja, das hatte ich lustigerweise schon früh gelernt. In Japan konnte ich diese Fähigkeit verbessern.
Interview: Melanie Riedi