Mascha Dabic: An den Grenzen der Sprache
Die serbisch-russische Autorin Mascha Dabic überzeugt mit ihrem Debütroman «Reibungs-
verluste»: Einen Tag lang begleitet sie eine Dolmetscherin im Asylwesen.
Inhalt
Kulturtipp 14/2017
Letzte Aktualisierung:
04.07.2017
Babina Cathomen
Mehrmals pro Woche hört die 30-jährige Nora Lebensgeschichten, die an die Substanz gehen: Als Russisch-Dolmetscherin in einem Wiener Therapiezentrum ist sie Vermittlerin zwischen traumatisierten Flüchtlingen aus Tschetschenien und Psychotherapeuten. Das Gehörte, das sie möglichst getreu und mit «unverbindlicher Dolmetschermiene» übersetzen soll, lässt die junge Frau an der Menschheit zweifeln: «Sollte die pure Grausamkeit tats&aum...
Mehrmals pro Woche hört die 30-jährige Nora Lebensgeschichten, die an die Substanz gehen: Als Russisch-Dolmetscherin in einem Wiener Therapiezentrum ist sie Vermittlerin zwischen traumatisierten Flüchtlingen aus Tschetschenien und Psychotherapeuten. Das Gehörte, das sie möglichst getreu und mit «unverbindlicher Dolmetschermiene» übersetzen soll, lässt die junge Frau an der Menschheit zweifeln: «Sollte die pure Grausamkeit tatsächlich in allen Menschen schlummern? War es nur dem Zufall geschuldet, ob einer zum Täter oder zum Opfer oder zu beidem wurde?» Und: «Wie viel Wahrheit ist dem Menschen zumutbar?»
Die 36-jährige Autorin Mascha Dabic erzählt in ihrem eindringlichen Debüt «Reibungsverluste» einen Tag aus dem Leben einer jungen Dolmetscherin. Trotz des schweren Themas gelingt ihr ein leichtfüssiger Roman, der aus wechselnder Perspektive von den Nöten und dem Alltag von Flüchtlingen ebenso wie von Betreuern erzählt. Die Autorin, Tochter eines bosnischen Serben und einer russischen Mutter, ist 1981 in Sarajevo geboren und kam 1992 mit ihrer Familie nach Österreich. Seit zwölf Jahren arbeitet sie als Dolmetscherin und Übersetzerin in Wien, unter anderem im Asylwesen.
Diese Erfahrungen prägen ihren sprachlich ausgefeilten, feinfühligen Roman. Sie schildert die Schwierigkeiten, als Dolmetscherin stets die «distanzierte, abwartende, perfekt unauffällige Projektionsfläche» zu sein. Und sie liefert einen spannenden Einblick in ihre Arbeit, in der sprachliche Feinheiten zentral sind, um kommunikativen Missverständnissen vorzubeugen.
Ihre Protagonistin, die junge Nora, hat aber auch ihre eigenen Sorgen: Sie macht sich über Beziehungsknatsch oder Ärger mit der Familie Gedanken und hat sich selbst ein Lese-Verbot auferlegt, um nicht vor der Realität zu fliehen. Am Ende des ereignisreichen Tages muss Nora jedoch feststellen, dass sie die Bücher als ihren Zufluchtsort im Trubel des Lebens nicht entbehren kann.
Buch
Mascha Dabic
«Reibungsverluste»
152 Seiten
(Edition Atelier 2017).