Ein hagerer Mann in Leggins schlurft quer über die Bühne, wie im Selbstgespräch mit den eigenen Turnschuhen, die unangenehme Quietschgeräusche von sich geben. Die Schultern hat er leicht nach oben gezogen, die Arme schlenkern wie Paddel und scheinen die Person voranzuschieben. Es ist der Anfang des Solostückes «Hallo» von Martin Zimmermann.
Für einmal steht der Zürcher Künstler allein vor Publikum, ohne seinen langjährigen Bühnenpartner Dimitri de Perrot oder grosse Performertruppen. «Es war der richtige Zeitpunkt, um das Wagnis eines Solos einzugehen», sagt Zimmermann. «Ich wollte mich künstlerisch herausfordern und herausfinden, wohin es in den nächsten Jahren gehen könnte.»
Seit mehr als 20 Jahren steht der 1970 geborene Bewegungskünstler auf der Bühne und feiert unter dem Compagnie-Namen Zimmermann & de Perrot weltweit Grosserfolge. Damit geht aber auch ein wachsender Erwartungsdruck vonseiten der Öffentlichkeit einher; ein Innehalten auf dem rasanten Weg nach oben tut da gut.
Abgründige Kunstfigur
Die quecksilbrige, unschuldig naive und gleichzeitig boshaft abgründige Kunstfigur Zimmermanns entzieht sich allen Zuschreibungen: Er verschwindet auf magische Weise im Untergrund, wuselt koboldhaft über die Bretter, leidet und triumphiert, bis das Publikum vollständig Kopf und Herz an ihn verloren hat. Zimmermanns tragikomische Figur, ein Tramp und Hofnarr in der Traditionslinie grosser Clowns wie Grock oder Buster Keaton, gibt seinen Gefühlen rückhaltlos Raum. «Mit dem Solo will ich keine Geschichte erzählen, sondern schlicht verschiedene Gefühls-Facetten zeigen. Wir alle haben liebevolle, aber auch grässliche Seiten», erklärt Zimmermann.
Der Lulatsch auf der Bühne erzählt von uns und vom Leben. Seine kindliche Neugier, seine Suche nach einem Gegenüber und seine Ängste sind die unseren. Was er uns vorspiegelt, sind wir selber in unserer eigenen Unerträglichkeit, das Lachen kann einem da leicht im Hals stecken bleiben.
Stolperfallen
Wie immer bei Zimmermann spielen Objekte und das Bühnenbild eine wichtige Rolle. Sie können sich verselbständigen und zu Stolperfallen für den Protagonisten werden. Plötzlich klappt eine Luke im Boden auf, saust ein undefinierbares Wuschel-Tier vorbei oder reisst unerwartet eine Wand ein. Dinge verschwinden so schnell, wie sie aufgetaucht sind. Zimmermann hat seit seiner Kindheit eine grosse Liebe für die Zauberei: «Das, was man nicht versteht, ist doch viel spannender als das, was man zu kennen meint. Meine Kunst besteht auch darin, dass die Leute Sachen sehen, die sie sonst gar nicht wahrnehmen.»
Aufgewachsen in Wildberg, einem Dorf im Zürcher Oberland, gab es für den zappeligen Buben Martin Zimmermann nicht viel Ablenkung, dafür jede Menge Spielraum und manchmal auch Langeweile. So begann er mit Zauberkunststückchen und Jonglieren und trieb dieses Hobby bis zur Meisterschaft, sodass ihn eines Tages der Wildberger Frauenverein für einen Auftritt engagierte. Früh packte ihn die Leidenschaft für den Zirkus. Doch sonst war im Hause Zimmermann von Kunst nicht viel die Rede, hingegen von gutem Handwerk und allerlei Erfindungen. Eines Tages las er in der Jugendzeitschrift «Spick» von einer neu eröffneten französischen Zirkusschule, nichtsahnend, dass er genau dort einmal seine Profi-Ausbildung antreten würde.
Zuerst aber absolvierte er im Jelmoli in Zürich eine Schaufensterdekorationslehre. «Als ich dann in Paris und Châlons en Champagne an der Zirkusschule studierte, schämte ich mich für meine bürgerliche Lehre», erzählt Zimmermann. «Doch genau diese handwerklichen Erfahrungen halfen mir später, meinen eigenen typischen Stil zu finden.» Bald nämlich langweilte Zimmermann das rein Artistische in seiner Ausbildung, und er besann sich seiner Modelle und Materialien.
Illusion von Leichtigkeit
Bis heute entstehen seine Stücke im Austausch und in der Konfrontation mit einer Bildidee oder einem Objekt. Da wird gebastelt und getüftelt, bis es stimmt. Auf einer Werkbank seines gegenwärtigen Ateliers in Bülach liegen diverse Kartonmodelle. Eines davon ist der Rahmen, der in «Hallo» ein zentrales Bühnenelement ausmacht. Zimmermann wollte seine Figur schwerelos machen. Im Endprodukt ist es eine komplexe Konstruktion, die sich wie ein Körper zusammenfalten lässt. Tatsächlich entsteht die Illusion von Leichtigkeit, sogar vom Fliegen. Und natürlich entwickelt das Objekt ein Eigenleben, an dem sich der Protagonist abarbeiten und seinen Überlebenswitz anwenden muss.
Wie durch ein Schaufenster blickt das Publikum in eine andere Welt: eine Reminiszenz an Zimmermanns ersten Beruf. Erklären möchte er die Szenen aber nicht. Sowieso sei er kein Wortmensch. Seine Sprache sind die lebendigen und immateriellen Körper, die aufeinandertreffen, sich aneinanderstossen und sich verwandeln. Der Kopf rutscht ihm vom Hals, das Oben kehrt sich nach unten. Es sind Zirkustricks, aber so arrangiert und mit Bedeutung aufgeladen, dass sie mehr als nur eine Assoziation hervorrufen. Manchmal ist es unheimlich, dann wieder melancholisch-poetisch und unvermittelt schrill bis hin zur Absurdität. «Man muss das Stück nicht verstehen», beruhigt Zimmermann. «Wenn es einen nur in einem einzigen Moment berührt, ist das schon viel.»
Zürcher Theater Spektakel
Wie funktioniert Macht: staatliche Macht oder die Macht der Sprache, soziales Machtgefälle oder körperliche Gewalt? Dieses Thema steht im Mittelpunkt des 36. Zürcher Theater Spektakels. Ein zweiter Themenschwerpunkt umfasst Auseinandersetzungen mit klassischen Formensprachen von Theater, Tanz und Musik. Künstlerinnen, Artisten, Musikschaffende und Ensembles aus aller Welt werden dazu ihre aktuellen Arbeiten präsentieren.
In einem speziellen Focus stehen zudem Arbeiten, in denen sich Kinder und Jugendliche Gedanken zur Gegenwart und möglichen Zukunft der Welt machen. Darunter die Theaterproduktion «600 Highwaymen» aus New York, die Videoinstallation «Mein Haus, meine Welt und mehr» aus den Niederlanden oder das Tanzstück «Suave» aus Brasilien.
Zürcher Theater Spektakel
Do, 6.8.–So, 23.8., Landiwiese, Werft, Rote Fabrik Zürich
Für alle Vorstellungen (auch die ausverkauften) sind an der Abendkasse noch Tickets erhältlich.
Weitere Infos unter: www.theaterspektakel.ch
«Hallo»
Fr, 14.8.–Mi, 19.8., 19.00 Theater Spektakel: Landiwiese Zürich
Mi, 30.9./Do, 1.10., 20.00 Theater Casino Zug
Weitere Vorstellungen: www.zimmermanndeperrot.ch