Für den Künstler Martin Zimmermann ist der Clown der letzte Punk. Ein moderner Hofnarr, der die Gesellschaft infrage stellt und durch seine pure Präsenz provoziert. Ein Wesen, das weder weiblich noch männlich ist, sondern etwas Urmenschliches verkörpert. «Der Clown erzählt allein durch seine Haltung eine Geschichte», sagt Zimmermann. «Er spielt keine Rolle wie der Schauspieler.» Die Zirkuswelt und insbesondere der Clown haben den Zürcher schon immer stark angezogen. Nach einer Lehre als Dekorationsgestalter hat er in Frankreich die Hochschule Centre National des Arts du Cirque besucht.
Die Clowns widerspiegeln die Gesellschaft
Zimmermann hat unter anderem mit Kollege Dimitri de Perrot so erfolgreiche Riesenkisten wie «Öper Öpis» oder «Hans was Heiri» gestemmt. Irgendwann waren der Erfolg sowie der künstlerische Aufwand nicht mehr zu steigern, und die beiden haben sich entschieden, eigene künstlerische Wege zu gehen.
Mit dem 2014 kreierten Solo «Hallo» war Zimmermann drei Jahre lang auf Tournee in den international renommiertesten Theaterhäusern. «Darin habe ich mich mit mir selber auseinandergesetzt», erzählt der Regisseur, Choreograf und Artist. «Ich wollte herausfinden, wie ich etwas Tiefmenschliches erzählen kann.» Herausgekommen ist eine berührende, tragikomische Figur: ein Clown, der sich an den Tücken eines absurden Alltags wund reibt und sich, bei allen Abstürzen, wieder aufrappelt und kindlich-philosophisch triumphiert. Er steht somit in der Tradition grosser Clowns wie Grock oder Buster Keaton, deren feiner, abgründiger Humor die Grenzen des Genres sprengten.
In «Eins Zwei Drei», der jüngsten Arbeit von Zimmermann, stehen drei klassische Charaktertypen auf der Bühne. Zimmermann führt Regie. Da ist zum einen der Weissclown, der meint, alles zu wissen, und sich als Herr aufspielt. Und zum anderen der August, sein «Knecht». Der dritte in diesem «Trio infernale», wie es Zimmermann nennt, ist der Contre-Pitre, ein Freigeist und Spinner. Zwischen allen dreien besteht, trotz den Klassenunterschieden, eine absolute Abhängigkeit. «Mich hat es schon lange gereizt, ein Clown-Trio zu machen», sagt Zimmermann. «Im Grunde genommen habe ich die Gesellschaft auf diese drei Figuren heruntergebrochen. Das Thema ist die Macht.»
Eine groteske Welt und unsichtbare Türen
Das Setting, in dem die drei Clowns ihre Interessen durchzusetzen versuchen, ist die Kunstwelt: In einer Pseudo-Freiheit, in einem ultramodernen Museum, das auch ein Apple-Shop sein könnte, wie Zimmermann ironisch kommentiert. Der Weissclown ist der Direktor des Hauses, August sein Assistent und der Contre-Pitre in gewissem Sinn der Künstler oder die Kunst an sich. Es wird der Aufstand geprobt, Contre-Pitre sorgt für emotionalen Aufruhr. Die Figuren spinnen ihre Intrigen, verschwinden hinter unsichtbaren Türen und tauchen unerwartet wieder auf. Personen und Objekte verwandeln sich, wie immer bei Zimmermanns Bühnendesign, auf magische Weise. Es ist eine wunderbar groteske Welt.
«Ich mag es», sagt Zimmermann, «wenn das Bühnenbild möglichst vieles offenlässt.» Doch was die Inszenierung anbelangt, ist nichts dem Zufall überlassen. Bis auf einige Freiräume für Improvisation ist das Stück bis ins Detail choreografiert. Zwei von Zimmermanns grossartigen Protagonisten kommen aus dem Tanz, der dritte war mit Zimmermann auf der gleichen Zirkusschule. In Frankreich haben sich der zeitgenössische Tanz und die Artistik gegenseitig stets beeinflusst und befeuert.
Flügel und Schlagzeug begleiten das Stück
Als vierte Person live auf der Bühne agiert der Musiker Colin Vallon am Flügel und Schlagzeug. Die Musik sei ein wichtiges und berührendes Element in seinem choreografierten Figuren- und Objekttheater, sagt Zimmermann. Vallon hat dazu Stücke komponiert und spielt sie parallel als Konzert. Am Schluss, so viel verrät der Choreograf, fällt die Welt der drei Clowns mit ihren unzähligen Regeln in sich zusammen. Die Machtverhältnisse ändern sich aber nicht. Es ist die Musik, die das letzte Wort hat, und sie weiss, dass wir im Grunde alle gleich sind.
Zürcher Theater Spektakel
Do, 16.8.–So, 2.9.
www.theaterspektakel.ch
Eins Zwei Drei
Ab 12 Jahren
Do, 23.8.–Mo, 27.8., jew. 19.00 Werft Zürich
5 Fragen an Matthias von Hartz, neuer künstlerischer Leiter Zürcher Theater Spektakel
«Das Theater Spektakel ist keine Universität»
kulturtipp: Matthias von Hartz, welche Art Theater gefällt Ihnen?
Matthias von Hartz: Schon als ich selbst inszenierte, hatte ich immer den Wunsch, etwas zu machen, das auch meine Freunde interessiert und nicht nur jene Theatergänger mit dem Mittwoch-Abo-A. Ich fragte mich: «Was erzähle ich von der Gegenwart?» Ich wollte Stücke mit politischer und gesellschaftlicher Relevanz zeigen, die zu einer breiten Diskussion führen. Beim Kuratieren ging es mir immer um soziale Bewegungen und politische Theorie – und es kam immer Kunst heraus.
«Alles bleibt neu» hiess ein erstes Motto auf dem Newsletter. Bleibt also alles gleich?
Das Festival funktioniert in der Stadt und in der Szene extrem gut, es gilt, diesen Erfolg fortzusetzen. Mein Vorgänger Sandro Lunin und ich haben unterschiedliche Biografien, Interessen und Überzeugungen: Das schlägt sich in einer anderen Perspektive nieder. Das Publikum wird Unterschiede ausmachen können: Soziale Bewegungen und aktuelle politische Theorie werden direkter zur Sprache kommen, Afrika oder Amerika werden einmal Thema sein. Vermehrt sollen auch Produktionen von grossen internationalen Künstlern zu sehen sein.
Im Prinzip ist es egal, was gespielt wird: Im Unterschied zur Saison sind die Zürcher hier nicht Rosinenenpicker. Das Publikum ist bereit, etwas auszusuchen, das es im Oktober im Schauspielhaus nicht anschaut. Der Sommer hilft uns. Internationales Theater bei Festivals ist erstaunlicherweise für viele ein Sahnehäubchen des Theaterjahres, ein Extra zum normalen Betrieb. Ich bin glücklich, dass es diesen Ort gibt, wo man Dinge zeigen kann, die sich einem nicht immer ganz erschliessen, da sie aus einem fremden kulturellen Kontext kommen. Und ich bin froh, wenn nicht gleich alle fragen: «Was trommeln die denn da?» Das Theater Spektakel ist keine Universität, kein Heim für die Volksbildung, sondern ein Teil der Unterhaltungsindustrie, um es zugespitzt zu formulieren.
5000 Menschen kommen jeden Abend auf die Landiwiese. Interessieren Sie die?
Ich möchte, dass jeder, der bei uns Satay-Spiesse isst, mit Kunst in Berührung kommt – so viel missionarischen und aufklärerischen Eifer habe ich. Ich will keinen ins Theater zwingen, will nicht 5000 Leute mit Kunst bespassen, aber ich frage mich: Wie schaffen wir eine Durchlässigkeit von den Bühnen auf die Wiese?
Was würden Sie tun, wenn das Theater Spektakel 6 statt bloss 4,5 Millionen Franken Budget hätte?
Ich würde mehr eigene Produktionen ermöglichen. Für die Seebühne, die Werft – oder gar für den grossen Platz. Jetzt baut man für viel Geld jedes Jahr alles auf und schaut erst dann, ob die Gastproduktionen in diese Hallen und Zelte reinpassen.
Interview: Christian Berzins