So furchterregend habe der T-Rex gar nicht ausgesehen, sagte der Metzger, als er Martha die Wurstwaren einpackte. «Wohl wahr», antwortete sie, ein wenig geistesabwesend. Was hatte der Tyranno-Irgendetwas mit ihren dreihundert Gramm Aufschnitt zu tun? Nichts! Und leider stand es mit ihrem Gehör auch nicht mehr zum Besten. Die Stille ist der Feind eines jeden Verkäufers. Das wusste Martha. Sollte er reden.
Sie war in Gedanken eh schon beim Friseur, der Termin hatte sie die vergangenen Tage zusehends belastet. Es ging nicht um wenig, nicht um die übliche Instandstellung dessen, was sie seit Urzeiten gewohnt war. Ihre kleine Enkelin hatte gesagt, an der Haarpracht würde sie ihre Oma immer gleich erkennen. Selbst dieser gefrässige Räuber habe feine Lippen gehabt, das Gebiss bei geschlossenem Maul unsichtbar. Das Ergebnis jüngster Zahnuntersuchungen, «stand gestern in der Zeitung», so der Metzger.
Martha war nicht auf der Höhe der Zeit, unversehens aus der Mode geraten, oder doch nicht ganz; in die Jahre kam Frau nun mal nicht von allein. Sie würde weiterhin die Oma für die Kleine bleiben wollen, das stand ausser Frage, doch aussehen wie ein altes Mütterchen? Sie war noch keine sechzig, das war doch kein Zustand. «Noch einen Wunsch?»
So bescheiden war sie noch lange nicht. In der Konsequenz liess Martha den Blick über die Auslagen schweifen. Sie beugte sich etwas vor und stellte sich alsbald wieder gerade hin, neigte den Kopf kaum merklich zur einen, dann zur anderen Seite und zog mal eben die Augenbrauen hoch, um ein Zeichen zu setzen. Die Kutteln habe er heut früh eigenhändig gewaschen, liess sie der Metzger wissen. Da verzog es ihr postwendend die Mundwinkel. «Oder doch frisch von der Leber?»
Warum schmunzelte der jetzt? Macht wohl Witze, der Mann. Wenn der wüsste, was auf dem Spiel steht! Eine Kurzhaarfrisur, eine kleine Revolution. Sie würde die Ohren freibekommen. Das erleichterte künftig die Kommunikation – das Wort mochte Martha nicht. Sie zog es vor, Gespräche zu führen. Vielleicht stand die Leber tatsächlich besonders nah am Leben.
Manchmal kam Martha erst im Nachhinein in den Sinn, was ihr grad noch durch den Kopf gegangen war. Nein, ihre Enkelin mochte keine Innereien. «Sieht ja aus wie Dinosaurierfleisch.» Das war spontan, das war gut. Da staunte der Metzger und griff sich mit der flachen Hand in den Nacken. Stand ihm doch ganz hervorragend, das graue Spitzbärtchen. Aber nahm der Mann sie denn überhaupt als Frau wahr?
So weit sei es noch nicht, meinte er nur, auch wenn das T-Bone-T-Rex eines Tages gewiss die Grillsensation schlechthin sein werde. Das klang in Marthas Ohren ziemlich gespreizt, einigermassen zäh auch. Der Fleischersmann schien sie nicht ernst zu nehmen; freundlich war er, das wohl, unverbindlich zuvorkommend. Zuvorkommend unverbindlich? Kein Wunder, sie war zwar Stammkundin, allerdings nie eine grosse Käuferin gewesen. «Feine Lippen?», fragte sie also.
Was er eigentlich habe sagen wollen, hob der Metzger an, nicht ohne ein Räuspern zwischenzuschalten, auch Fleischfresser seien doch nur Menschen. Im Sprechen nestelte er an seiner Schürze herum, als plage ihn ein schlechtes Gewissen. Hatte er mehr von sich preisgegeben, als er wollte? Martha streifte das gewellte Haar hinters linke Ohr, denn der angelegte Schmuck war durchaus des Blickes wert. Hatte sie eigens für den Figaro aus der Schatulle geholt.
Der Diamant musste am Ende ja mit der neuen Frisur harmonieren. «Ein Metzger mit moralischen Bedenken?» Martha hatte den Mann am Wickel. Sie sehe nirgends vegane Kost, doppelte sie nach, stellte sich ein wenig ins Profil und liess das Geschmeide so richtig funkeln. «Ich bin Metzger, Madame, und ich gehöre zu den wenigen der Zunft, die auch selber noch schlachten.»
Das klang wie aufgesagt, das merkte Martha sofort, und sie hatte gleichwohl die Unsicherheit in der Stimme des Mannes gehört. Richtete einer regelmässig ein Blutbad an und versuchte – nichtsdestotrotz – seine Hände in Unschuld zu waschen.
Keine leichte Übung in Zeiten erhöhter Empfindsamkeit. Vermutlich hatte der Mann seinerseits Kinder. Das Schicksal spielt einem zuweilen übel mit: Bekennen sich die Kinder eines Metzgers zum Vegetarismus! Soll schon mal vorkommen; und grad so schien Martha der Fleischhauer aus der Wäsche zu gucken. «Das Zeug soll bei Blindverkostungen inzwischen ganz gut wegkommen!» Sie sagte das ganz bewusst mit Ausrufezeichen. Das «Madame» hatte ihr einen Stich versetzt.
Sollte der Metzgermeister sehen, wie er vor ihr weiter bestehen wollte. Er habe neu Bison im Sortiment, entgegnete der Gute und lenkte Marthas Blicke in eine andere Abteilung. «Kostet allerdings was.» Das Fleisch überbiete an Eigengeschmack alles, was das heimische Rind herzugeben in der Lage sei. Das hätte man wohl einfacher sagen können, dachte Martha, begnügte sich aber mit einem: «Hugh!» Denn sie war bei Winnetou angelangt, und der Mann ihr gegenüber präsentierte sich plötzlich im Federschmuck. Mit Lendenschurz?
So leicht wollte sie es ihm dann doch nicht machen. Ihr stünde der Sinn mehr nach etwas Währschaftem, sagte Martha bestimmt; da sah sie den Häuptling schon splitterfasernackt vor sich. Dass er dann zielsicher auf die Lammkeule wies, brachte sie um ein Haar um den Verstand. Den Büffel hätte Martha sich niemals aufschwatzen lassen, aber das Gigot?
Ein gehöriger Einsatz von Knoblauch sei allerdings Pflicht. Auch das sagte der Fleischer noch – und schwang die Hüften! Als Martha wieder Augenkontakt suchte und der feinen Lippen des Mannes gewahr wurde, fielen die letzten Zweifel von ihr ab: Der Dinosaurier würde ihrer Kurzhaarfrisur im Nu verfallen.
Markus Bundi
Der 1969 geborene Markus Bundi lebt als Schriftsteller, Herausgeber und Lektor in Neuenhof und arbeitet als Philosophielehrer in Aarau. Laut Gerüchten wartet er seit Jahren vergeblich auf einen Anruf von Meister Yoda. Zuletzt erschienen von ihm Betrachtungen zur Lage der Gesellschaft als «Denkzettel» verpackt im Wiener Septime Verlag.