kulturtipp: Die Ankündigung zu Ihrem Projekt zitiert Richard Wagner: «Ich glaube an Gott, Mozart und Beethoven.» Geht es Ihnen auch so, Herr Venzago?
Mario Venzago: Als ich jung war, hat mich Beethoven total angezogen. Mit dem Älterwerden aber steht Mozart vor allem mit seinen Opern über allem. Und heute kehrt Beethoven mit Macht zurück. Seine Sinfonien sind wohl das Beste, was es für Orchester gibt, und die Klavierkonzerte sind eindrücklich.
Bei jedem Stück sitzt jemand anderer am Klavier: sechs Pianisten und eine Pianistin, alle jüngere, aufstrebende Talente. Warum denn das?
Natürlich hätte es unter den Grandseigneurs den einen oder andern gegeben, der alle zusammen hätte interpretieren können. In Basel habe ich so etwas einmal mit Rudolf Buchbinder gemacht. Aber uns interessiert, was junge Pianisten mit dieser Musik zu sagen haben. Sie kommen aus unterschiedlichen Generationen und verschiedenen Ländern, es wird unter ihnen angepasstere und weniger angepasste Interpreten geben. Da wird sich zeigen, wie sich ihr Stil mit meinem reibt, der bei Beethoven ziemlich radikal ist.
In welchem Sinn radikal?
Ich wähle schnelle Tempi. Es existieren zwar für die Klavierkonzerte keine Metronom-Angaben. Man kann aber von den Sinfonien her Rückschlüsse ziehen, dort gibt es sie. Gerade die frühere deutsche Beethoven-Tradition hat ihn unerträglich langsam gespielt. Wilhelm Kempff zum Beispiel hat die Klavierkonzerte nachgerade zelebriert. Das entspricht mir gar nicht.
Rudolf Buchbinder, einer der von Ihnen gemeinten Grandseigneurs von heute, schreibt in seinem Buch «Leben mit Beethoven», er habe Konflikte gehabt mit Dirigenten, weil sie das Adagio des Konzerts Nr. 5 Es-Dur zu langsam angegangen seien.
Wobei das Problem dort weniger das Tempo darstellt als dieser nahtlose Übergang in den letzten Satz, der unerwartet über die Hörer hereinbrechen soll. Da muss man als Dirigent ein Überraschungsmoment schaffen, auch für heutige Hörer, die das Konzert ja kennen.
Nun spielen Sie also alle Klavierkonzerte, dazu aber auch die Chorfantasie und das Violinkonzert in seiner Klavierfassung. Warum das?
Die Chorfantasie ist ein grosses, konzertantes Werk für Klavier, Chor und Orchester. Ihr Einbezug lässt sich leicht begründen, und ich mag sie besonders gern. Ich selber habe die Chorfantasie in meiner Zeit als Pianist oft gespielt. Es ist beeindruckend, wie da, vom Klavier ausgehend, immer mehr an Orchester hinzukommt – und dann noch der Chor. Man hat diese Chorfantasie schon als Skizze zur neunten Sinfonie bezeichnet, das halte ich für falsch. Sicherlich sind aber Erfahrungen aus dieser Komposition in die Neunte eingeflossen.
Und das Violinkonzert in seiner von Beethoven selber erarbeiteten Fassung für Klavier und Orchester?
Beethoven war mit Leib und Seele Pianist, das Klavier ist sein eigentliches Instrument. Das Violinkonzert, das erst nach seinem Tod in seinem Rang erkannt und häufiger aufgeführt wurde, krankt daran, dass viele Geiger seiner Zeit es als unspielbar betrachtet haben. «Wenn der Geist über mich kommt, was schert mich seine Fiedel?», hat Beethoven darauf entgegnet. Es hat ihn aber doch geschert, weil niemand dieses Konzert gespielt hat. Beethovens Assistent Carl Cerny hat ihn dazu animiert, für seine Englandtournee eine Klavierfassung zu schreiben. Dessen Kadenz führt über das Violinkonzert hinaus, weil eine Pauke hinzukommt – was es bis dahin nie gegeben hat. Wenn man vergisst, dass man es für Violine kennt, ist das ein Knüller.
Wie hat Beethoven sich über die fünf Klavierkonzerte hinweg verändert?
Ich stelle eine enorme kompositorische Entwicklung fest. Das erste Klavierkonzert knüpft stark an Joseph Haydn an, aber schon das zweite entfernt sich davon – da schaut Beethoven zu Schubert hin. Am radikalsten wird er zweifellos im fünften Klavierkonzert, am schwierigsten zum Spielen aber ist das vierte in G-Dur.
Sie selber haben als Pianist angefangen. Schauen Sie Klavierspielern besonders auf die Finger?
Ich bin glücklich, dass ich die Konzerte nicht selber spielen muss, auch wenn Beethoven selten an die Grenzen geht. Vor allem aber möchte ich hören, was jeder dieser Pianisten zu bieten hat. Und ich hoffe darauf, dass mir einiges nicht gefällt.
Und was tun Sie dann?
Ich versuche zu verstehen. Reibung muss sein. Beethoven braucht Reibung.
Kam die Idee zu «Beethoven@Bern» von Ihnen?
Ja. Wir machen das ausserhalb des Abonnements, denn wir möchten auch junge Menschen gewinnen. Wenn es funktioniert, dann werden wir anderes in Angriff nehmen.
Die Bach-Violinkonzerte etwa. Oder die Mozart-Violinkonzerte. Alle Beethoven-Sinfonien wären ohnehin fällig – am liebsten an zwei Tagen. Der grösste Reichtum in seiner konzentriertesten Form.
Beethoven@Bern
Fr, 19.6.–So, 21.6.
Das Berner Symphonieorchester spielt unter der Leitung von Mario Venzago in drei Konzerten alle Werke Ludwig van Beethovens für Klavier und Orchester. Jedes Mal sitzt ein anderer Solist am Klavier. Alle Konzerte finden im Grossen Saal des Kultur Casino Bern statt.
19.6., 19.30
Christian Chamorel (Klavierkonzert Nr. 1) und Alexej Gorlatch (Nr. 5)
20.6., 19.30
Pavel Yeletskyi (Nr. 3) und Benjamin Engeli (Nr. 4)
21.6., 17.00
Kirill Zwegintsow (Nr. 2), Ragna Schirmer (Bearbeitung des Violinkonzerts für Klavier) und Frank Düpree (Chorfantasie)
Karten und Informationen unter www.konzerttheaterbern.ch